Reisebericht II - Genua von MdB Heidi Lippmann
eMail: heidi.lippmann@bundestag.de
Im Nachgang zu meiner Genuareise vom 31.7.-2.8.01 reiste ich am 16./17.8.01 erneut nach Genua, um die dort inhaftierten deutschen Gefangenen zu besuchen. Begleitet wurde ich wiederum von Frau Generalkonsulin Mayer-Schmalburg, die an den Gesprächen mit den Gefängnisleitungen und der Staatsanwaltschaft beteiligt war. Im Mittelpunkt meines derzeitigen Besuchs standen
- zwei Besuche bei den 7 weiblichen Inhaftierten in Pontedecimo
- Gespräche mit den 9, nach der Entlassung von Christian
aus Oberhausen, jetzt noch 8 männlichen Gefangenen im Marassi-Gefängnis
- Gespräch mit einem Anwalt der 10er Gruppe
- Gespräch mit dem Leitenden Staatsanwalt Pellegrino
- Gespräch mit Angehörigen und dem EA Genova
Die Ausgangslage
Von den bei meinem ersten Besuch ursprünglich 51 im Rahmen des
G-8-Gipfels Inhaftierten sind zwischenzeitlich bis auf 15 deutsche Staatsangehörige
alle anderen nach positiver Haftbeschwerde entlassen und bis auf die beiden
italienischen Inhaftierten abgeschoben worden. Dieses betrifft neben den
Angehörigen der internationalen Volx-Theatergruppe (No-Border-Karawane)
- darunter die beiden in Österreich lebenden bzw. studierenden deutschen
Staatsangehörigen Martin und Robert - Angela und Christian aus Oberhausen,
Joachim aus München und drei junge Männer aus dem sächsischen
Freiberg. Christian wurde im Anschluss an meinen Besuch im Marassi-Gefängnis
entlassen und per Flugzeug abgeschoben, so dass ich vorher noch die Möglichkeit
hatte mit ihm zu reden.
Angeklagt waren oder sind fast alle wegen Zerstörung und Plünderung (§ 419) und Mitgliedschaft im sog. Black Bloc, einer laut italienischer Justiz "kriminellen Vereinigung" (§ 416). Alle bis auf einen, der bei dem Überfall auf die Schola Diaz verhaftet wurden, wurden am Sonntag oder Montag nach den Gipfelveranstaltungen in oder außerhalb Genuas festgenommen. (Siehe meinen 1. Reisebericht vom 8.8.2001)
Bei den 15 deutschen Staatsangehörigen wurde die Haftbeschwerde
abgelehnt und der weitere Vollzug von Untersuchungshaft angeordnet. Hierbei
handelt es sich um die 10er-Gruppe :
· Alexandra, 27, Psychologiestudentin, Berlin
· Almut, 25, Studentin, Berlin
· Ulrike, 26, Arbeiterin, Berlin
· Christine, 24, Studentin, Berlin
· Petra, 31, Mutter, Berlin
· Inge, 31, Masseurin, Bremen
· Mona, 27, Promotions-Studentin Bremen
· Sven, Bremen
· Hendrik, Leverkusen
· Karsten, Bochum
Sowie um:
· Michael, 20, Leipzig
· Michael David, 20, Leipzig
· Peter, 18, Leipzig
· Viktor, Berlin
· Björn, 18, Abiturient, Schwelm
Haftbedingungen:
Pontedecimo
- Die Haftbedingungen der 7 Frauen sind unverändert und
vergleichsweise gut. Sie haben dreimal täglich die Möglichkeit
zum gemeinsamen Freigang, sind in 2 sich gegenüberliegenden
Zellen untergebracht (1 x 3, 1 x 4 Frauen), Kontaktmöglichkeiten nach
außen (1 Telefonat pro Woche, Besuche, Briefe) entsprechen den Regeln
des ital. Strafvollzugs. Kontakte zu anderen
Mitgefangenen sind möglich, von denen viele sich solidarisch
verhalten.
Marassi
- Die neun Männer sind in einer Gemeinschaftszelle untergebracht,
durch die Entlassung von Christian jetzt zu acht. Ansonsten
sind die Haftbedingungen sehr eng an die Strafvollzugsregelungen
angelehnt bzw. liegen darunter, die Freigangmöglichkeiten
werden auf maximal 40 Minuten täglich beschränkt. Die
ärztliche Versorgung lässt zu wünschen übrig, darüber
hinaus gibt es
Schwierigkeiten mit einigen Vollzugsbeamten. Hierüber sprachen
wir mit der Gefängnisdirektorin. Die psychische Situation
mehrere Gefangener ist durch die in Folge der physischen und
psychischen Misshandlungen ausgelösten Traumatisierungen
während der Verhaftung und im Polizeigewahrsam und durch
die Haftbedingungen beeinträchtigt. Eine psychologische
Betreuung, z.B. durch erfahrene Vertreter von Organisationen
für Folteropfer wäre wünschenswert.
Besuchsmöglichkeiten
Während zwischenzeitlich auch Freunde und entferntere Verwandte
(Cousins, Cousinen) Besuchesgenehmigungen der
Staatsanwaltschaft Genua erhielten, wurden diese in den vergangenen
Tagen auf nächste Angehörige (Eltern, Geschwister,
Ehegatten) begrenzt. Im Gespräch mit dem Staatsanwalt gelang
eine Verständigung dahingehend, dass künftig auch weiterhin
Besuche von Freunden genehmigt werden, wenn diese eine entsprechende
Bestätigung von Eltern vorgelegen können, die ihre
Besuchsmöglichkeit nicht wahrnehmen können.
Sprachliche Probleme
Dabei wurde noch einmal deutlich, dass die mangelnde sprachliche
Verständigung ein schwerwiegendes Problem darstellt. So
wurde bei den mündlichen Verhandlungen nur teilweise ins
Deutsche übersetzt, die Qualität der Übersetzung war teilweise
sehr
schlecht. Auch die Kommunikation mit den Anwälten gestaltet
sich durch fehlende Italienischkenntnisse der Inhaftierten
mühlselig. Die meisten Dokumente, wie z.B. der Haftbefehl,
die Anklagepunkte, das Ergebnis der Haftbeschwerde werden lediglich
in italienischer Sprache ausgefertigt. Hier muss dringend Abhilfe
geschaffen werden und die Bundesregierung ist aufgefordert,
dahingehend zu intervenieren, dass alle amtlichen Schriftstücke
in die deutsche Sprache übersetzt werden sowie den
Angeklagten während der Verhöre und mündlichen
Verhandlungen adäquate Dolmetscher zur Verfügung gestellt werden.
Die Anklage am Beispiel der 10er-Gruppe
Ausführlich besprach ich mit den 10 Inhaftierten, deren
Haftbeschwerde als erstes abgelehnt wurde, und ihrem Anwalt und
teilweise mit dem Staatsanwalt die gegen sie erhobenen Vorwürfe,
die ausschließlich auf Indizien beruhen.
In der Ablehnung der Haftbeschwerde wird festgestellt, dass gegen sie nach Art. 274 der ital. Strafprozessordnung Haftgründe bestehen. Demnach liegen gegen sie gravierende Indizien vor, die eine Zugehörigkeit zum "Black Bloc" vermuten lassen. Es wird festgestellt, dass in ihren Fahrzeugen sog. suspekte Gegenstände sichergestellt wurden, sie ihre Anwesenheit in Genua an den Tagen des G8-Gipfeltreffens nicht überzeugend und schlüssig erklären konnten. Infolgedessen wird vermutet, dass sie an den sog. Krawallen und Verwüstungen des "Black Bloc" in Genua beteiligt waren.
Es folgen einige Definitionen des "Black Bloc", einige Hinweise
zu seiner Geschichte, seiner Gliederung sowie Hierarchie, seiner
Kampftaktik und seinen Zielsetzungen, die zum großen Teil
aus dem Internet stammen, jedoch von Staatsanwalt und
Ermittlungsrichter als Grundlage genommen werden. Aus den gewonnenen
Erkenntnissen wird der Schluss gezogen, dass der
"Black Bloc" als kriminelle Vereinigung (Art. 416 des italalienischen
Strafgesetzbuchs = Codice Penale, kurz CP) anzusehen ist.
Daraus folgt, was die reinen Indizien angeht, dass es in Beug
auf den § 416 CP hinreichend erscheint, den Black Bloc unter den
Tatbestand "Associazione per delinquere", § 419 CP einzuordnen,
d.h. "Gruppen von Personen, die sich mit krimineller Zielsetzung
(Zerstörung) zusammengeschlossen haben und die gemeinsame
Interessen haben (Kampf gegen Globalisierung indem sie Eigentum
zerstören, städtisches Zubehör in Waffen verwandeln,
sich unter die Demonstranten mischen, mit dem Ziel eine starke Solidarität
herzustellen, die sie ihrerseits demonstrieren) auch unabhängig
und außerhalb der effektiven Ausführung einzelner
vorprogrammierter Straftaten, weshalb keine komplexe Organisation
der Mittel vonnöten ist, es reicht auch eine einfache,
elementare Vorbereitung der Mittel..."
In dem vorliegenden Fall muss das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft
und mit Zustimmung der Ermittlungsrichter prüfen,
ob schwerwiegende und übereinstimmende Indizien gegen die
Beschuldigten vorliegen, die den Straftatbestand der kriminellen
Vereinigung bestätigen.
In dem Text folgt pauschal eine Beschreibung der vom "Black Bloc"
in Genua angerichteten Verwüstungen. Es folgt eine Auflistung
von sichergestellten Gegenständen mit dem mutmaßlichen
Verwendungszweck.
Zur Erinnerung: Die 10 sind 2 Tage nach Beendigung der Gipfelveranstaltungen 40 km außerhalb von Genua festgenommen worden, wo sie am Rande einer Straße ihre 2 Campingmobile (1 umgebauter UPS-Transporter, ein ähnlicher Mercedes-Transporter, beide älteren Datums, einer mit dem Symbol der Toten Hosen verziert) geparkt hatten und dabei waren, zu kochen. Dass sie sich abseits der offiziellen Touristenrouten und nicht auf einem öffentlichen Campingplatz wird als suspekt bewertet.
Die Indizien
Durch Recherchen der Rechtsanwälte stellte sich jetzt heraus,
wie selektiv Gegenstände, deren Besitz den Gefangenen als
schwerwiegende Vorwürfe unterstellt werden, beschlagnahmt
wurden. Ich bin von den Inhaftierten und ihrer anwaltlichen
Vertretung autorisiert, die folgende Liste der Indizien zu veröffentlichen
mit dem jeweiligen mutmaßlichen Verwendungszweck
(kursiv) und Erklärungen, die die Inhaftierten, ihre Anwälte
und eine Mutter mir gegenüber gemacht haben. Zum Teil wurden die
Argumente bereits vor Gericht vorgetragen. Da den Gefangenen
keine Protokolle ihrer Aussagen vorliegen, ist eine richtige
Wiedergabe nicht überprüfbar. Grundlage für die
folgenden Ausführungen ist eine Inhaltsangabe des Auswärtigen
Amtes, die Frau
Generalkonsulin Meyer-Schalburg den Gefangenen aushändigte
(ohne Gewähr) und die sie mir mit Anmerkungen versehen
zurückgaben sowie eine Übersetzung der Haftbeschwerde.
Die Erklärungen sind fett gedruckt:
1. Flugblätter und Informationsmaterial
Beweis für Zugehörigkeit zu Demonstrantengruppen, aber
auch zum "Black Bloc", da dessen Mitglieder sich unter "normale"
Protestierende zu mischen versuchen
2. Infomaterial und Stadtpläne von Genua
Indiz für die Notwendigkeit, sich in Genua gut bewegen zu
können
3. Infomaterial zur medizinischen Versorgung und zu juristischem
Beistand nach eventuellen Zusammenstößen mit der Polizei
Kein Beweis für die Zugehörigkeit zum "Black Bloc",
jedoch für die Bereitschaft, zu einer körperlichen Konfrontation
mit der Polizei
zu kommen.
Alle Inhaftierten haben erklärt, dass sie sich - wie über 200.000 anderer Menschen - in Genua aufhielten, um an den verschiedenen Veranstaltungen teilzunehmen. Die o.g. "Indizien" wurden ebenso wie Flugblätter verschiedenster Gruppen überall in der Stadt verteilt. Es war quasi eine Sammlung von Infos, deren Inhalt zum großen Teil aufgrund der Sprache nicht verstanden wurde. Darüber hinaus ist es eine Selbstverständlichkeit, Karten und Stadtpläne dabeizuhaben, wenn man sich in einer fremden Stadt bewegt.
4. Eine beträchtliche Anzahl von zu Waffen umfunktionierbaren
Gegenständen, wie z.B. Zimmermannshammer, große Dietriche,
Brechstangen, Engländer, Ketten, Steine und kleinere
Messer (all diese Werkzeuge wären als Campingausrüstung ungeeignet)
Schwerwiegende Indizien
Die Hammer könnten benutzt worden sein, um Schaufenster
oder Autoscheiben einzuschlagen, die Brechstangen, um Türen
auszuhebeln und Pflastersteine herauszubrechen; die Steine als
Geschosse für Schleudern
Vorab sei festgestellt, dass die Festgenommen mit den 2 Campingmobilen
für mehrere Wochen unterwegs sein wollten und eine
komplette Campingausrüstung einschließlich eines großen
Zeltes bei sich hatten. Da es sich um alte Fahrzeuge handelt, waren
zwei große Werkzeugkisten an Bord, in denen sich u.a. auch
Hammer, z.B. für Reparaturen an der Bremstrommel oder auch zum
Einschlagen von Zelt-Heringen Zelt befanden. Laut Erklärung
der Mutter eines der Gefangenen handelt es sich um ein
Sammelsurium von Werkzeugen aus dem Bestand ihres Mannes, der
40 Jahre bei einem Autohersteller gearbeitet hat.
Bei den "Steinen" handelt es sich um kleine Ziersteine in einem
ungeöffneten Netz, noch mit Preisschild ausgezeichnet, der
größere Stein war am Strand aufgesammelt worden und
sollte ein Mitbringsel für die Tochter von Petra werden.
Die "kleineren Messer" waren dem Besteckkasten entnommen, in
dem sich natürlich auch Löffel und Gabel befanden...
5. Gerät für den persönlichen Schutz und die
medizinische Selbstversorgung
Schwerwiegendes Indiz, da die Mittel zum persönlichen Schutz
und insbesondere die zum Beinschutz den aktiven Plan
voraussetzen bis zur körperlicher Auseinandersetzung mit
dem Gegner zu gehen.
Bei einer Gruppe von 10 Personen, die mehrere Wochen unterwegs
ist, wäre es fahrlässig, keine Reiseapotheke dabei zu haben.
Bei dem "Beinschutz" handelt es sich um ein paar Wadenschoner,
die gern von Fußballern benutzt werden. Und auch hier wieder
- ein paar Wadenschoner für 10 Personen ...
6. Eine größere Anzahl von schwarzen Kleidungsstücken
und Mitteln der Verkleidung wie Hasskappen, Schals und Perücken
Schwerwiegendes Indiz für die gegenseitige Erkennung
und zur Vermummung
Die Erklärung der 10 Beschuldigten, dass schwarze Kleidungsstücke
und auch Kapuzenpullover normale Bekleidungsstücke seien,
ließ das Gericht ebenso wenig gelten wie die, dass der
Besitz 1 Hasskappe und 1 Perücke (im übrigen zu Verkleidungszwecken)
zur Vermummung von 10 Personen ja wohl ungeeignet seien. Und
auch die dicken schwarzen Bekleidungsstücke "trotz
sommerlichen Wetters" sind erklärbar, wenn man im kühlen
Deutschland losfährt und längere Zeit unterwegs sein will.
7. Dosen und Flaschen mit Lacksprays
Ein weiteres schwerwiegendendes Indiz, das unter die Takik des
"Black Bloc" fällt, die Wände der Stadt als Tafeln für ihre
Parolen zu nutzen. Und 4 Spraydosen mit schwarzem, rotem und
blauen Lack sind völlig unverhältnismäßig und mit
der beim
Verhör angegebenen Rechtfertigung, die Camper neu zu lackieren,
nicht vereinbar
Die Aussage hierzu lautet, die Farben für Ausbesserungsarbeiten und nicht für eine Neulackierung nutzen zu wollen. Übrigens, die Dosen waren zum Teil noch original verpackt, ausschließlich in den Farben der 2 Campingmobile. Dass auch Lackierrollen und Pinsel an Bord waren, stellten erst die Rechtsanwälte fest...
8. Ein Film mit 17 Fotos
Schwerwiegendes Indiz, da es von der Anwesenheit eines Teils
der Beschuldigten am Ort der Aktionen des "Black Bloc" zeugt.
Fotos einiger der Beschuldigten neben einem umgestürzten
und in Brand gesteckten Auto, von einem zerstörten Bancomaten
und von der Fassade einer Bank, von Vermummten sind Indizien
für die Dokumentierung der Aktionen des "Black Bloc" und von
kriegerischen Ritualen und können als Mittel zur kritischen
Nachbereitung gelten
Scheinbar ist es in Italien üblich, dass gewalttätige Aktivisten mit Fotoapparaten rumlaufen und sich selbst ablichten. Übrigens ist eines der Motive, dass sich auf dem Film befand, in der Zeitschrift "Diario" - ein Special über den G8 in Genua - gleich zweimal abgedruckt. Einmal als das umgestürzte Auto gerade zu brennen beginnt, einmal im ausgebrannten Zustand. Das bei den Beschuldigten gefundene Foto zeigt den PkW in ausgebranntem Zustand.
9. Küchenstreichhölzer und Zigarettenfilter, die
in den Taschen der beschlagnahmten Jacken gefunden wurden
Ziemlich schwerwiegendes Indiz, da das Vorhandensein bedeutet,
dass Mittel (Zigarettenfilter) vorhanden waren, die
miteinander verbunden und auf den Hals einer zuvor mit Benzin
gefüllten Flasche gesteckt und durchtränkt zu einem zur
Herstellung eines Molotows unerlässlichen Mittel werden,
zumal diese während der Verwüstungen in gewaltiger Anzahl
angefertigt und geworfen worden sind
Man nähme statt eines Putzlappens oder Taschentuchs also
Filter und verbinde sie miteinander ... Warum einfach wenn's auch
kompliziert geht? Im Gespräch mit dem Staatsanwalt musste
ich lernen, dass in Italien niemand Eindrehfilter benutzt und er sich
nicht vorstellen kann, dass Leute, die doch sonst nach seiner
Erkenntnis auf ihre Gesundheit bedacht seien, so etwas
ungesundes wie einen Zigarettenfilter zum Zigarettendrehen benutzen
könnten - eine schwerwiegende kulturelle Frage?
Nebenbei, die Anwälte fanden natürlich auch Tabak und
Zigarettenpapier ...
Als weiteres Indiz wird aufgeführt, dass alle zehn Beschuldigten verletzt waren, was am 23.7. im Krankenhaus dokumentiert wurde, wohin sie von der Polizei gebracht wurden... Eine schwere Verbrennung der Beschuldigte Christine ..., die zu einem Zeitpunkt der heftigsten gerade erst stattgefundenen Zusammenstöße im Krankenhaus behandelt wurde ist ein weiteres Indiz für die Teilnahme und dafür, dass sie mit Substanzen zu tun gehabt hat, die eine Verbrennung herbeiführen konnten, zum Beispiel die von den "Black Bloc" während ihrer Übergriffe entfachten Feuer...
Man achte auf das Datum der Dokumentation im Krankenhaus: Sie erfolgte nach den schwerwiegenden Misshandlungen im Polizeigewahrsam und alle wiesen entsprechende Spuren auf, die mehr oder weniger dokumentiert wurden. Die Verbrennung von Christine stammt von einem Feuerwerkskörper, von dem sie während der Demonstration getroffen wurde, was auch bezeugt werden kann.
Ich führe dieses so detailliert auf, weil hieraus sehr deutlich wird, wie man Straftatbestände konstruieren kann. Eine Ausführung dieses Berichts wird u.a. der Bundesregierung zugestellt, um nochmals die Notwendigkeit einer umgehenden politischen Intervention zu verdeutlichen. Den 15 Inhaftierten drohen während der staatsanwaltlichen Ermittlungen Untersuchungshaftstrafen von bis zum einem Jahr oder sogar darüber hinaus. Auch gegen die bisher aus der Haft entlassenen werden die Ermittlungen weitergeführt.
Nach meinen Recherchen betone ich ausdrücklich:
· Nicht einer der Inhaftierten wurde im Rahmen von gewalttätigen
Ausschreitungen festgenommen.
· Es ist ein reiner Indizienprozeß.
· Alle Beschuldigungen beruhen auf selektiv ausgewählten
Gegenständen aus den Fahrzeugen. Aufgrund dieser wird den
Beschuldigten eine Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung,
dem sog. Black Bloc unterstellt.
· Weitere Beschuldigungen beruhen auf Gegenständen,
die untergeschoben wurden. Zwei weiteren Inhaftierten wurde in den
vergangenen Wochen immer wieder ein Stempel aus einer Bank zugeordnet,
der erst dem einen und dann dem anderen
zugeordnet wurde/wird. Nach ihrer Beschreibung wurden alle Gegenstände
von ca. 10 - 15 Personen, die gemeinsam auf einem
Platz im Genua verhaftet wurden, von den Polizisten auf einen
großen Haufen geworfen. Im Polizeigewahrsam versuchte man
mehrfach, den Festgenommen fremde Gegenstände, u.a. diesen
Stempel in die Hand zu drücken, um so Fingerabdrücke zu
erhalten.
In diesem Zusammenhang ist auch das Abschneiden von Haaren bei
fünf der Beschuldigten zu hinterfragen, die zu DNA-Analysen
genutzt werden könnten.
· Das Konstrukt des "Black Bloc" beruht zum größten
Teil aus Informationen, die dem Internet entnommen sind.
· Besonders fraglich ist die Weitergabe von polizeilichen
Erkenntnissen der deutschen Polizei an italienische Polizeibehörden.
Wie
Staatsanwalt Pellegrino mir mitteilte, sei es vollkommen normal,
dass italienische Polizeibehörden Anfragen bei der deutschen
Polizei stellen, so z. B. um herauszufinden, ob es Erkenntnisse
über eine Teilnahme von Beschuldigten bei Demonstrationen in
Göteborg oder Prag gäbe, über vorherige polizeiliche
Ermittlungen, Mitgliedschaften in kriminellen Vereinigungen usw.
· Im Fall einer Verurteilung drohen den Angeklagten Haftstrafen
von 8 - 15 Jahren aufgrund von fadenscheinigen Indizien. Im
übrigen handelt es sich bei der Staatsanwältin um eine
sog. Mafia-Expertin.
· Ziel der Prozesse ist die Festschreibung der Konstruktion
eines sog. "Black Bloc". Diese wird als "politisch reife,
nichthierarchische, militante Gruppe" (Zitat: SECCOLO XIX) beschrieben,
die sich aus autonom agierenden Kleingruppen
zusammensetzt. Dafür sollen die Angeklagten als Paradebeispiel
herhalten. Gesetze aus dem Anti-Terrorismus- und Mafia-Bereich
sollen auf den sog. "Black Bloc" angewandt werden bzw. um neue
Gesetze zu dessen Bekämpfung erlassen zu können. Dazu muss
seine Existenz in dieser Form erst einmal "bewiesen" werden,
wozu die Beschuldigten herhalten sollen.
· Es soll ein Exempel statuiert werden, das der Kriminalisierung
und Spaltung der immer stärken Protestbewegung der
Globalisierungskritiker dienen soll.
All die o.g. Punkte benötigen eine breite politische Debatte.
Die berechtigte und dringend erforderlich Kritik an der
Globalisierungspolitik der G8 darf nicht zum Anlass genommen
werden, die gesamte Bewegung zu kriminalisieren und zu spalten.
Die Gefangenen wünschen ausdrücklich breite Bündnisse,
in denen eine gesamtpolitische Auseinandersetzung stattfindet.
Die Bundesregierung, der Bundestag, Europäische Institutionen und Regierungen sind u.a. aufgefordert, sich für eine umgehende Entlassung der Gefangenen von Genua und eine bedingungslose Einstellung aller Verfahren einzusetzen, eine internationale Untersuchungskommission einzurichten, die zwischenstaatliche Polizeizusammenarbeit offen zu legen, die schweren Menschenrechtsverletzungen und die Ermordung Carlo Guiglianis zu verurteilen.
Zum Schluss gebe ich erneut die Resolution, die bereits als Ergebnis
meines 1. Besuches veröffentlicht wurde, zur Kenntnis.
Zwischenzeitlich haben alle Gefangenen von Genua diese autorisiert.
Göttingen, den 19. August 2001
Heidi Lippmann
Leiterin der AG Internationale Politik der PDS-Bundestagsfraktion
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RESOLUTION DER G-8 GEFANGENEN VON GENUA
Wir verurteilen
· Die Misshandlungen bei der Festnahme in der Schola Diaz
und bei Festnahmen an anderen Orten
· Die Misshandlungen, die Androhung sexueller Gewalt,
den Psychoterror, den Schlafentzug, die Beleidigungen und
Beschimpfungen im Polizeigewahrsam
· Die Androhung und Ausübung von Gewalt um Aussagen
und Unterschriften zu erzwingen
Wir protestieren
· Gegen das unberechtigte Festhalten; hierbei handelt
es sich um einen Freiheitsentzug aus politischen Gründen
· Dagegen, dass uns falsche Beweisstücke untergeschoben
wurden
· Gegen die anfängliche Kommunikationssperre und
die mangelnde Aufklärung über unsere Rechte in Haft
· Dagegen, dass wir bis zu einer Woche ohne anwaltliche
Betreuung waren
· Gegen die teilweise Isolationshaft einzelner Gefangener
· Gegen die politische Kriminalisierung
Wir fordern
· Die bedingungslose Freilassung aller im Zusammenhang
mit dem G8-Gipfel Inhaftierten
· Die Einstellung aller Verfahren
· Die Herausgabe aller persönlichen Gegenstände
und Fahrzeuge
WIR PROTESTIEREN GEGEN DIE POLITISCHE KRIMINALISIERUNG!!!