Unsicherheitslage gefährdet Davos
[TA] - F
Von Peter Haerle und Hannes Nussbaumer
Die Einschätzungen klingen pessimistisch. Doch etwas Hoffnung glimmt
unvermindert. Kein Wunder:
"Niemand will der Spielverderber sein", sagt der Bündner SP-Präsident
Peter Peyer. Er gehört zu den
wenigen, die ihre Überzeugung nicht verleugnen: "Ich meine, es
gibt im kommenden Jahr kein Forum."
Klaus Huber, Bündner SVP-Regierungsrat und Vorsitzender des WEF-Ausschusses
der Bündner
Regierung, formuliert es so: "Im Moment glauben wir noch, dass das
Forum durchgeführt wird. Doch Sie
entnehmen meinen Äusserungen, dass ich Zweifel habe."
Diese Zweifel scheint auch Peter Arbenz zu kennen. "Die Chancen, dass
das WEF stattfinden kann, sind
da. Vieles hängt davon ab, wie sich die Weltpolitik in den nächsten
Wochen entwickelt", sagt der
WEF-Berater der Bündner Regierung. Ob er an die Durchführung
glaube? "Das ist keine Glaubensfrage.
Ich wünsche mir, dass das Forum stattfindet." Auch der Bündner
FDP-Nationalrat Duri Bezzola ist
skeptisch: "Es wird sehr schwierig, die Risiken zu limitieren. Aber
ich hoffe und glaube, dass das WEF
stattfinden kann." Nach einer Pause: "Die Hoffnung ist allerdings stärker
als der Glaube."
Das Davoser Weltwirtschaftsforum 2002 steht vor einer mehrfachen Herausforderung.
Einerseits, so die
einhellige Forderung von Bündner Regierung, Tourismusvertretern
und Globalisierungskritikern, dürfe
Davos nicht mehr wie in diesem Jahr zum Bunker werden. Andererseits
muss die Sicherheit des Forums
gewährleistet bleiben. Und dies unter erschwerten Bedingungen:
Die Terroranschläge in den USA und
der Krieg in Afghanistan sowie der Amoklauf von Zug haben die Sicherheitsbedürfnisse
des Forums
erhöht. Besonders der Vorfall in Zug, so heisst es im Umfeld des
regierungsrätlichen WEF-Ausschusses,
habe die Bedenken der Regierung verstärkt.
Zürcher Polizei übt Zurückhaltung
Die Bündner Regierung will laut Huber im November darüber
beschliessen, ob sie die Sicherheit des
Forums garantieren könne. Davon wird abhängen, ob die WEF-Verantwortlichen
ihre Veranstaltung
durchführen können. Für die Regierung sind laut Huber
folgende Fragen entscheidend:
Bewilligt der Bündner Grosse Rat in der Novembersession die im
Budget fürs Jahr 2002 unter dem
Posten "WEF-Aufwendungen" veranschlagten, hauptsächlich für
Sicherheitszwecke bestimmten 6,8
Millionen Franken? (Die gesamten Sicherheitskosten fürs nächste
WEF beziffert die Bündner Regierung
mit knapp zehn Millionen Franken. Drei Achtel davon trägt der
Bund.)
Stellt die Zürcher Stadtpolizei Personal zur Verfügung? Laut
Reto Casanova, Sprecher des Stadtzürcher
Polizeidepartements, hat der Zürcher Stadtrat noch nicht entschieden.
Der Entscheid falle voraussichtlich
am 24. Oktober. Gewiss ist: Graubünden braucht die demonstrationserfahrenen
Zürcher Stadtpolizisten.
Nach den Erfahrungen beim diesjährigen WEF, als sich die Wut der
Globalisierungsgegner in Zürich
entladen hatte, übt Zürich aber Zurückhaltung. Denn:
"Für uns geht der Schutz von Zürich vor", sagt
Casanova. Durchgesickert ist, dass Zürich das Konzept der Bündner
Regierung nicht genügt, in dem sie
vorgestellt hat, wie nächstes Jahr gewalttätige Auseinandersetzungen
verhindert werden sollen. Es ist
daher sehr wahrscheinlich, dass die Stadtregierung verbindlichere Zusagen
fordert oder aber Nein sagt.
Wie stellt sich die Davoser Bevölkerung zum Forum? Am 20. Oktober
kommt es in Davos zu einer
Orientierung der Bevölkerung. Informieren werden unter anderem
WEF-Gründer Klaus Schwab und ein
Mitglied des regierungsrätlichen WEF-Ausschusses. Huber betont,
dass die Regierung der Unterstützung
durch die Davoserinnen und Davoser viel Gewicht beimesse.
Welche Haltung vertritt der Bund? Die Bündner Regierung, so Huber,
habe in einem Schreiben an den
Bundesrat um eine Einschätzung der internationalen Lage gebeten.
Die Bündner Regierung will
namentlich erfahren, ob sich nach Ansicht des Bundes die Sicherheit
völkerrechtlich geschützter
Personen im gegenwärtigen Umfeld garantieren lasse. Laut Livio
Zanolari, Sprecher des Departements
für auswärtige Angelegenheiten, hat sich der Bundesrat zu
diesem Brief noch nicht geäussert. Die
weltpolitische Lage und ihre Auswirkungen auf das Forum werde in einem
interdepartementalen
Ausschuss analysiert. "Für einen Entscheid ist es aber noch zu
früh."
Zu welchem Ergebnis führen die Bemühungen von Peter Arbenz,
in Gesprächen mit allen Beteiligten,
unter anderem mit den Globalisierungskritikern, eine Trägerschaft
für einen neuen, offenen "Spirit of
Davos" zu gründen?
Kritik am Arbenz-Bericht
Die Bündner Regierung steht vor dem Problem, dass drei Monate vor
der WEF-Eröffnung noch keine
dieser Fragen beantwortet ist. Zudem brachten die Gespräche von
Peter Arbenz bislang offenbar kaum
Fortschritte. Vielmehr hat die Trennung in dialog- und gewaltbereite
WEF-Kritiker, die Arbenz in seinem
Bericht an die Bündner Regierung vorgenommen hat, die Globalisierungskritiker
verärgert. "Wir sind weder
dialog- noch gewaltbereit", sagt Matthias Herfeldt von der Erklärung
von Bern (EvB), die den Davoser
Gegenkongress "The Public Eye on Davos" organisiert. Die EvB suchte
vor zwei Jahren das Gespräch mit
dem WEF, empfand den Dialog aber als enttäuschend und will künftig
darauf verzichten.
Die Schaffung zweier Kategorien bringe die Gefahr, so Herfeldt, dass
Kritiker ohne Dialogbereitschaft
automatisch ins Lager der Gewaltbereiten gedrängt würden.
Peter Niggli von der Arbeitsgemeinschaft
verschiedener Hilfswerke begrüsst zwar Arbenz' Anstrengung, deutet
den Ansatz aber ebenfalls als
"Versuch, die Bewegung zu spalten". Auch das "klare Bekenntnis zum
WEF, einschliesslich der
organisatorischen und Sicherheitsmassnahmen", das laut Arbenz-Bericht
von den Mitgliedern der "Spirit
of Davos"-Trägerschaft verlangt werde, weckt bei der EvB Kritik.
"Wir bezweifeln die Legitimität des WEF
und sind daher zu diesem Bekenntnis nicht bereit", sagt Herfeldt. Arbenz
relativiert gegenüber dem TA
die Pflicht zu diesem Bekenntnis. Man befinde sich in einem offenen
Prozess.
Derweil treiben die WEF-Veranstalter die Vorbereitung des nächsten
Forums voran. Seine Eröffnung ist
auf den 31. Januar 2002 angesetzt. "Wir haben kein Zeichen erhalten,
dass das WEF nicht stattfinden
könnte", sagt André Schneider, der administrative WEF-Direktor.
Allerdings: "Es stimmt, gewisse
Entscheidungen stehen noch aus. Uns bleibt nichts anderes, als abzuwarten."
Unterdessen scheinen die
WEF-Verantwortlichen am Genfer Hauptsitz aber auch über einen
Davos-Ersatz nachzudenken: "Wenn
von Bund und Kanton das Zeichen käme, dass das WEF nicht stattfinden
könne, werden wir uns nach
einer Alternative umsehen. Und zwar schon für dieses Jahr."