NZZ, 12. Oktober 2001
Findet das WTO-Ministertreffen von Katar statt?
Sicherheitsbedingte Zweifel trotz Fortschritten bei den Beratungen
fb. Genf, 11. Oktober
Offiziell wird bei der Welthandelsorganisation (WTO) weiterhin die
Ansicht vertreten, die für Anfang November im Emirat Katar anberaumte
Ministerkonferenz werde plangemäss stattfinden. Am Donnerstag hielten
die für die Organisation zuständigen Katarer bei der WTO sogar eine
Presseorientierung über das Treffen ab, bei der sie alle Zweifel an
dessen Durchführbarkeit von der Hand wiesen. Trotz derart ostentativer
Zuversicht lassen sich aber in Genf viele Stimmen vernehmen, die warnend
darauf hinweisen, dass ein hochkarätiges Ministertreffen in der
Golfregion gegenwärtig aus Sicherheitsüberlegungen kaum zu verantworten
sei und die Ministerkonferenz von Ad-Dauha deshalb möglichst rasch
abgesagt werden müsse. Oder wie sich ein Schweizer Handelsdiplomat in
typischer «déformation professionnelle» ausdrückte: Die Konferenz von
Katar werde bestimmt stattfinden, man wisse nur noch nicht, wann und wo.
Ein entsprechender Entscheid könnte allerdings in den nächsten Tagen
fallen. Am kommenden Wochenende treffen sich nämlich die Minister der
wichtigsten Handelsländer und -regionen der Welt in Singapur zu einem
neuerlichen informellen Stelldichein, an dem die Schweiz durch Bundesrat
Pascal Couchepin vertreten sein wird.
WTO als Bestandteil der Allianz gegen den Terror
Das offizielle Beharren auf der Ministerkonferenz von Katar hat, wie
aus Kreisen der WTO zu erfahren ist, seinen guten Grund: Seit dem
Attentat vom 11. September und den danach einsetzenden Bemühungen der
USA, eine weltweite Allianz gegen den Terrorismus zu schmieden, hat der
Druck auf die WTO-Mitglieder, in Katar eine neue Handelsrunde aus der
Taufe zu heben, massiv zugenommen. Besonders von Seiten der USA wird dem
Vernehmen nach gegenwärtig alles unternommen, um die rasche Lancierung
einer neuen Handelsrunde zu erzielen. Washington betrachtet einen
solchen Schritt als eine wichtige flankierende Massnahme im Kampf gegen
den Terrorismus. Erfahrungsgemäss können nämlich im Rahmen einer neuen
Handelsrunde dem Welthandel wichtige Impulse verliehen werden. Deshalb
sind die USA auch nicht gewillt, die Konferenz von Katar zu früh platzen
zu lassen. Damit würde der zurzeit auf den Mitgliedländern der WTO
lastende Druck, zu einem Kompromiss Hand zu bieten, sogleich abnehmen,
was unweigerlich eine Verlangsamung des in den letzten Wochen in Gang
gekommenen Beratungsmarathons zur Folge hätte.
Vor diesem Hintergrund wirkt allerdings die in dieser Woche in Genf
erfolgte amerikanische Brüskierung der arabischen Welt kaum
verständlich. Gemeinsam mit Israel hatte Washington einen Antrag
abgewiesen, die 22 Staaten umfassende Arabische Liga als Beobachterin zu
der Ministerkonferenz von Ad-Dauha zuzulassen, ein Schritt, der von
israelischer Seite später inoffiziell damit gerechtfertigt wurde, dass
sich die Arabische Liga in der Vergangenheit immer wieder für einen
Handelsboykott gegenüber Israel stark gemacht habe und somit gegen den
Geist der WTO verstossen habe.
Ein Text im Landwirtschaftsdossier
Die in Singapur vereinten Minister stehen vor einer doppelten Aufgabe.
Erstens müssen sie versuchen, die anhaltenden Positionsunterschiede in
den diversen Dossiers abzubauen. Zu diesem Zwecke liegt ihnen ein in den
letzten Tagen bereits in Genf stark diskutierter Entwurf für eine
Schlusserklärung der Konferenz von Katar vor. Seit Mitte dieser Woche
enthält dieser Vorschlag auch eine Passage zum heiklen
Landwirtschaftsdossier, der nach den Worten eines Vertreters der
Europäischen Union allerdings niemanden glücklich, wohl aber bestenfalls
alle Parteien im selben Umfang unglücklich macht. Zweitens haben die
Minister zu entscheiden, ob die Konferenz von Ad-Dauha wirklich
plangemäss stattfinden wird. Ironischerweise wird aber eine Absage wohl
nur möglich sein, wenn in Singapur genügend grosse Fortschritte bei der
Bereinigung der Schlusserklärung eben dieser Konferenz von Ad-Dauha
erzielt werden können. Nur in diesem Fall wäre es denkbar, die
Ministerkonferenz von Katar ausnahmsweise durch eine Sondersitzung des
WTO-Rates in Genf zu ersetzen und die nächste Handelsrunde anstatt am
Persischen Golf am Lac Léman zu lancieren.
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