Die bunte Schar, die sich an einem grauen Samstagnachmittag im Genfer Maison des Associations Socio-Politiques an der Rue des Savoises traf, hätte nicht unterschiedlicher sein können: Alt- und junglinksgrüne AnwältInnen, GlobalisierungsgegnerInnen, Basis-Antirep-AktivistInnen und Betroffene aus der Schweiz, Deutschland, Italien, Belgien, Frankreich und Spanien setzten sich im Saal Mahatma Ghandi zusammen, um gemeinsam über die Internationale Untersuchungskommission für die Erhaltung der Grundrechte im Prozess der Globalisierung zu debattieren. Getragen wird die Kommission von verschiedenen demokratischen AnwältInnenorganisationen (Europäische Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt, Coordinamento Giuristi Democratici, Republikanischer Anwältinnen- und Anwaltsverein, Europäische Demokratische Anwälte, Coordination pour un contrôle citoyen de l'OMC, Juristes democrates de Suisse, Juristes progessistes de Genève, etc.)
Fünf Themenbereiche und drei Aktivitäten hat sich die Internationale Untersuchungskommission zum Ziel gesetzt. Die neu gegründeten Arbeitsgruppen werden sich auf europäischer Ebene mit der Repression in Genua-G8, der Erschiessung von Carlo Giuliani, der Repression gegen die Antiglobalisierungs- und andere Bewegungen, der "Anti-Terror"-Gesetzgebung nach den Anschlägen vom 11. September und den Grundrechten gegenüber den Multinatinalen Konzernen beschäftigen. Ziel ist es, diese Untersuchungen und Recherchen der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und von der Repression betroffene Bewegungen zu begleiten und zu beraten. Ob aus der Arbeit der Kommission auch juristische Schritte wachsen werden, ist noch unklar. Zuerst muss eine funktionierende Struktur auf die Beine gestellt werden, was angesichts der Ressourcen und der Sprachenvielfalt nicht einfach sein wird.
In verschiedenen Referaten wurde die Entwicklung des europäischen Repressionsapparates kritisch und besorgt analysiert: EUROPOL, die Ereignisse in Genua, die massive Aufrüstung der Staatsschutzapparate, die neuen "Anti-Terror"-Gesetze, etc. So soll zum Beispiel dem berühmt-berüchtigten deutschen 129 (kriminelle Vereinigung) und 129a (terroristische Vereinigung) der 129b (ausländische kriminelle/terroristische Vereinigung) folgen (siehe auch Vorwärts Nr. oder www.wsws.org/de/2001/okt2001/129b-o02.shtml). Auch der geplante Europäische Haftbefehl des EU-Anti-Teror-Pakets ist nicht ohne: Die Auslieferung mutmaßlicher TerroristInnen an andere Staaten soll durch ein Verfahren ersetzt werden, nach dem Personen, die terroristische Aktionen durchgeführt haben, auf der Basis eines europäischen Haftbefehls überstellt werden können. Skandalös die Terrorismus-Definition der EU-Innen-und JustizministerInnen (siehe Kasten): Eine terroristische Gruppe sei eine strukturierte Vereinigung von mehr als zwei Personen, die für einen gewissen Zeitraum agiert und abgestimmt vorgeht, um terroristische Straftaten zu begehen. Was sofort an das abstruse "Black Bloc"-Konstrukt der genuesischen Staatsanwaltschaft erinnert, mit welchem die G8-Gefangenen wochenlang gefangen gehalten wurden und mit dem während den Sommerferien die Regierung Berlusconi in Italien die Terrorismus-Hysterie zu schüren versuchte. Beunruhigend der Gedanke, dass z.B. deutsche G8-Folteropfer in der BRD verhaftet und nach Italien ausgeliefert würden, wenn der "Black Bloc" aufgrund dieser Terrorismus-Definition zur terroristischen Vereinigung erklärt würde. Angesichts der Tradition der italienischen Justiz, PolitaktivistInnen mit irgendwelchen abstrusen Tatbestandskonstrukten hinter Gitter zu bringen, ist das nicht mal so abwegig. Mehr zur europäischen Repressionswelle unter www.cilip.de.
Fazit der Veranstaltung in Genf: Genua-G8 und die Terror-Hysterie-Gesetzgebung nach S11 hat offenbar auch bei kritischen JuristInnen in ganz Europa die Alarmglocken klingeln lassen. Viele AnwältInnen sind schockiert über die Folterspuren bei ihren MandantInnen und die Aufrüstung des Polizei- und Staatsschutzapparates. Dies - gerade bei linken und grünen AnwältInnen - im Widerspruch zur Politik der Parteien, zu denen sie sich (noch) zugehörig fühlen. Es wird sich in den nächsten Jahren zeigen, ob neben der Anti-Globalisierungsbewegung eine funktionierende Anti-Repressions-Bewegung und -struktur entstehen wird. Nötig wäre es ja.
Anti-Rep-Koordination Bern
www.lorraine.ch/genua
Definition von "terroristischen Straftaten" der Sonderkonferenz
EU-Innen- und Justizminister vom 20.9.2001
1. "Jeder Mitgliedstaat ergreift (...) Maßnahmen, folgende Straftaten (...), absichtlich begangen (...) mit dem Ziel, die politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Strukturen zu bedrohen und stark zu beeinträchtigen oder zu zerstören, als terroristische Taten zu bestrafen: a) Mord; b) Körperverletzung; c) Entführung oder Geiselnahme; d) Erpressung; e) einfachen oder schweren Diebstahl; f) die unerlaubte Inbesitznahme öffentlicher Einrichtungen, öffentlicher Transportmittel, von Infrastrukturen, öffentlichen Orten und Gütern oder die ihnen zugefügten Schäden; g) Herstellung, Besitz, Erwerb, Transport oder Bereitstellung von Waffen und Sprengstoffen; h) die Freisetzung giftiger Stoffe oder die Verursachung von Bränden, Überschwemmungen oder Explosionen, die Gefährdung von Menschen, Gütern, Tieren oder der Umwelt; i) die Störung oder Unterbrechung der Versorgung mit Wasser, Elektrizität oder anderen Grundgütern; j) Aufträge für Attentate, die ein Informationssystem stören; k) die Drohung mit einer der oben aufgezählten Straftaten; l) die Führung einer terroristischen Vereinigung; m) die Ermunterung oder Unterstützung (...) oder die Beteiligung an einer terroristischen Gruppe. 2. (...) Eine terroristische Gruppe (ist) eine strukturierte Vereinigung von mehr als zwei Personen, die für einen gewissen Zeitraum agiert und abgestimmt vorgeht, um terroristische Straftaten zu begehen.(...)" DPA taz Nr. 6555 vom 21.9.2001 |