Megafon, Januar 2002

Die Entwicklungen im Schweizer Staatschutz-Sumpf scheinen an autonomen, libertären, antifaschistischen AktivistInnen und anderen radikalen BürgerInnen spurlos vorbei gegangen zu sein. Keine Demos gegen den Ausbau des Überwachungsstaates, keine Aktionen gegen Einrichtungen der Schweizer Stasi und kaum Publikationen über die Entwicklungen auf Gesetzes- und Verordnungsebene. Letzteres sei hiermit geändert.

 

Big Brother 2002: Die Rückkehr des Fichenstaats


Auf Bundesebene sind v.a. zwei gesetzliche Grundlagen für den Wiederaufbau des Fichenstaates wichtig: das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) vom 21.3.97 und die Verordnung über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (VWIS) vom 27.6.2001.
Im VWIS ist geregelt, dass innerhalb des Bundesamtes für Polizei der "Dienst für Analyse und Prävention" (DAP) die Aufgabe hat die Massnahmen zur Wahrung der Inneren Sicherheit durchzuführen und wahrzunehmen. Der DAP darf z.B. auchsicherheitspolitisch begründete Fernhaltemassnahmen (also Einreisesperren) vorbereiten und durchführen. Weiter kann der DAP Personen, Organisationen, Behörden oder Unternehmen über Schutzmassnahmen gegen terroristische oder nachrichtendienstliche Aktivititäten oder gegen gewalttätigen Extremismus beraten, wenn sich eine konkrete Bedrohungslage abzeichnet oder auf Anfrage, wenn diese Dritten sich bedroht fühlen. Enge Zusammenarbeit besteht mit der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten. Oftmals koordiniert der DAP auch überkantonale Tätigkeiten (z.B. WEF-Schutz) oder arbeitet mit ausländischen Staatsschützen zusammen und vertritt die Schweiz in internationlen Gremien.

Wer das BWIS und die VWIS liest, merkt, dass die PolizeistaatextremistInnen langsam aber sicher wieder auf Volltouren kommen und dass vermehrt GlobalisierungsgegnerInnen, AntifaschistInnen und andere radikale BürgerInnen  inís Visier genommen werden.
Z.B.  Art. 2 Abs 2 BWIS (Aufgaben) steht: Der Bund trifft vorbeugendeMassnahmen nach diesem Gesetz, um frühzeitig Gefährdungen durch Terrorismus, verbotenen Nachrichtendienst und gewalttätigen Extremismus zu erkennen.(...).
Und in Art. 8 Abs 1 steht geschrieben: «Die Kantone und die in Artikel 13 des Gesetzes genannten Behörden und Amtsstellen erstatten dem DAP unaufgefordert Meldung über Informationen und Erkenntnisse in den folgenden Bereichen:(...)
c. gewalttätiger Extremismus: Bestrebungen von Organisationen, deren Vertreter, die Demokratie, die Menschenrechte oder den Rechtsstaat ablehnen und zum Erreichen ihrer Ziele Gewalttaten verüben, befürworten oder fördern.»
Das DAP darf auch «präventive Operationen und Fahndungsprogramme» zur «Feststellung sicherheitsrelevanter Vorkommnisse in einem bestimmten Bereich» auch in «Zusammenarbeit mit kantonalen Strafverfolgungsbehörden, längerfristige polizeiliche Aktionen als präventive Fahndungsprogramme durchführen. Wenn Personen oder aktive Organisationen und Gruppen «systematisch Tätigkeiten entfalten» (die oben erwähnten), kann der DAP ein Prüfverfahren eröffnen. Dieses Verfahren dient «der Beschaffung und Auswertung aller Informationen über die betreffenden Personen, Organisationen und Gruppierung zum Zweck der Gewinnung gesicherter Erkenntnisse über deren die Sicherheit der Schweiz gefährdenden Tätigkeiten.»

Die radikalen BürgerInnen
Wer sich jetzt fragt, was die Big Brothers und Sisters unter gewalttätigem Extremismus verstehen, der/die sei auf den Staatsschutzbericht 2000 verwiesen. Dort ist unter «Gewalttätiger Extremismus, Kapitel Linksextremismus zu lesen: «Das Zentrum der linksextremen Gewalt in der Schweiz bildeten primär der Umkreis des Revolutionären Aufbaus Schweiz (RAS) und bei der Aktionsplanung der Antiglobalisierungsbewegung vermehrt auch das Umfeld der Reitschule Bern. Die Schweizer linksautonome Szene war in die internationale linke Protestbewegung eingebunden und hat sich vornehmlich mit internationalen Themen befasst. (..) Andererseits führte die öffentliche Diskussion der Skinhead-Problematik zu verstärkten Hinwendung zum Thema Faschismus beziehungsweise Antifaschismus.»
Interessant auch die Analyse der Autonomen und Libertären im amüsanten DAP-Bericht «Das Gewaltpotential in der Antiglobalisierungsbewegung» (Juli 2001): «Anarchistische Parteien und Gruppen streben per definitionem den Umsturz bestehender Strukturen an. » Und ein paar Seiten weiter: «Schon für die Neue Linke der 70er-Jahre war jede gegen die  Staatsorgane gerichtete Handlung, ob friedlich oder nicht, Ausdruck einer legitimen Gegengewalt: die eigentliche , ursprüngliche Gewalt gehe vom Staatsapparat und der herrschenden Klasse aus (strukturelle Gewalt).
Die heutigen linken Globalisierungskritiker argumentieren analog: die eigentliche Gewalt  - gegen benachteiligte Individuen, Gesellschaftsschichten, Staaten und/oder die Natur - gehe  von den supranationalen Organisationen, den internationalen Konzernen und der (wirtschaftlich und politisch) herrschenden Klasse aus. Gewaltanwendung im Kampf gegen diese Missstände sei somit nichts als legitime Notwehr. Sie sei die logische und unanwendbare Folge eines an sich gewalttätigen Systems.»
In den Empfehlungen dieses Berichts wird die Katze aus dem Sack gelassen: «Die nationale und internationale Zusammenarbeit zwecks Austauschs von Erkenntnissen und Informationen über Organisation und Aktivität gewalttätiger Globalisierungsgegener sollte intensiviert werden. (...) Im Bereich des gewalttätigen politischen Extremismus gilt Ähnliches wie für den Terrorismus: das beste Gegenmittel ist Prävention. Deshalb sollen die gesetzlichen Grundlagen geschaffen und die entsprechenden Ressourcen bereitgestellt werden, um eine effektive Prävention zu gewährleisten - bevor sich ein harter Kern gewaltbereiter Aktivistien herausgebildet hat.»
Und somit ist die Schnüfflerei legitimiert - so einfach ist das.

Unbeschränkt schnüffeln
Zwar wird in Artikel 3 Abs2 BWIS die Arbeit der Staatsschutz-SchnüfflerInnen eingeschränkt («Die Sicherheitsorgane des Bundes und der Kantone dürfen Informationen über die politische Betätigung und die Ausbildung der Meinungs-, Koalitions- und Versammlungsfreiheit nicht bearbeiten»), doch der darauffolgende Satz erlaubt den Big Brothers und Sisters ziemlich alles: «Die Bearbeitung ist jedoch dann zulässig, wenn der begründete Verdacht besteht, dass eine Organisation oder ihr angehörende Personen die Ausübung der politischen Rechte oder der Grundrechte als Vorwand nehmen, um terroristische, nachrichtendienstliche oder gewalttätig extremistische Tätigkeiten vorzubereiten oder durchzuführen.»
Die Informationen und Personendaten über radikale BürgerInnen dürfen sich die SchnüfflerInnen«selbst wenn dies für die betroffenen Personen nicht erkennbar ist» laut Art 14 BWIS durch «Auswerten öffentlich zugänglicher Quellen, Einholen von Auskünften, Einsicht in amtliche Akten, Entgegennahme und Auswerten von Meldungen, Nachforschen nach der Identität oder dem Aufenthalt von Personen, Beobachten von Vorgängen an öffentlichen und allgemein zugänglichen Orten, auch mittels Bild- und Tonaufzeichnungen, Feststellen der Bewegungen und der Kontakte von Personen.» Die Daten landen in einem elektronischen Informationssystem (ISIS)
Laut Art. 15 Abs 6 BWIS darf der DAP in dieses Informationssystem sogar «Daten über nichtbeschuldigte Personen» aus einem Strafverfahren aufnehmen, «wenn gesicherte Anhaltspunkte bestehen, dass sie mit Angehörigen einer terroristischen, Gewalt anwendenden extremistischen oder nachrichtendienstlichen Organisation (...) in Kontakt stehen, unabhängig davon, ob ihnen diese Zugehörigkeit bekannt ist. Für Daten aus amtlichen Überwachungen des Post- und Fernmeldeverkehrs oder aus dem Einsatz technischer Überwachungsgeräte geht Artikel 66 Absatz 1ter der Bundesrechtsstrafrechtspflege vor.»

Eine ägyptische Göttin?
Das ISIS* ist keine ägyptische Göttin, sondern ein «elektronisches Informationssystem», dessen Handhabung in der Verordnung über das Staatsschutz-Informations-System vom 1.12.99 geregelt ist. ISIS besteht aus 7 Datenbanken (eine davon Staatsschutz). Zugriff haben BAP/DAP-MitarbeiterInnen und kantonale Staatsschutzstellen.  laut Art. 16 des ISIS dürfen präventiv-polizeiliche Daten längstens 15 Jahre gespeichert werden. Ausnahmen: Daten laufender präventiv-polizeilicher Fahndungsprogramme (20 Jahre), Daten über Einreisesperren (bis 10 Jahre nach deren Ablauf), Daten über Personensicherheitsprüfungen (5 Jahre), Daten aus Korrespondenz mit Amtsstellen und Privaten (30 bzw. 10 Jahre). Daten der Datenbank D0 (dokumentarische Informationen aus dem gesamten Arbeitsgebiet der Bundespolizei) können zeitlich unbeschränkt aufbewahrt werden. Nicht mehr benötigte oder zur Löschung bestimmte Daten und Unterlagen werden dem Bundesarchiv zur Archivierung angeboten.

Fazit: der Fichenstaat ist wieder da und keineR hat eine Strategie dagegen. Oder doch?.Wäre gut, denn es soll noch schlimmer kommen.

Ausblick
Am 10. Dezember 2001 wurde im Ständerat ein Postulat von Hans-Rudolf Merz (FDP, AR) gutgeheissen. «Die Landesregierung wird darin auch aufgefordert, im Nachgang zu den Terroranschlägen in den USA eine umfassende Lage- und Gefährdungsanalyse der Schweiz zu erstellen. Es habe sich gezeigt, dass der präventive Staatsschutz und Nachrichtendienst im Nachgang zur Fichenaffäre zu stark eingeschränkt worden sei. Wie die CVP verlangt Merz eine Teilrevision des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit. Zudem sollte der Straftatbestand der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation geschaffen werden. Gleichzeitig müsste die parlamentarische Kontrolle über den Staatsschutz verstärkt werden. Laut Bundesrätin Ruth Metzler kann ein Ausbau von Staatsschutz und Nachrichtendienst nur beschlossen werden, wenn hierzu eine Gefährdungs- und Lageanalyse ausgearbeitet ist. Eine Entgegennahme des Vorstosses als Motion mit ihren detaillierten Vorgaben wäre nach Auffassung des Bundesrates deshalb übereilt. Der Handlungsbedarf sei jedoch ausgewiesen, und der Bundesrat werde bis zur Frühjahrssession 2002 einen umfassenden Zwischenbericht zur Gefährdungslage erstellen, kündigte Metzler an. Zugleich warnte die Justizministerin aber auch vor Hektik und erinnerte daran, dass die Überprüfung des Staatsschutzes bereits seit einem Jahr im Gang sei. Allerdings dürfe und werde laut Metzler der Wunsch nach öffentlicher Sicherheit nicht zu einem Überwachungsstaat führen.»
 (BZ 11.12.01)
 

Antirep-Koordination Bern
 
 

*Isis: in Anlehnung des Schengener Informationssystem (SIS)...?

Quellen:
- BWIS: http://www.admin.ch/ch/d/sr/c120.html
- VWIS: http://www.admin.ch/ch/d/sr/c120_2.html
- ISIS: http://www.admin.ch/ch/d/sr/c120_3.html
- www.lorraine.ch/genua/datenbanken.shtml
-Staatsschutzbericht:
http://www.bap.admin.ch/d/aktuell/berichte/d_SB_2000_1.pdf
- Gewaltpotential Antiglobalisierungsbewegung:
http://www.bap.admin.ch/d/aktuell/berichte/d_GpAGBw_bericht_2000_01.pdf
Archiv Schnüffelstaat Schweiz: http://www.raben-net.ch/ficherman/index.html