Auf Bundesebene sind v.a. zwei gesetzliche Grundlagen für den
Wiederaufbau des Fichenstaates wichtig: das Bundesgesetz über Massnahmen
zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) vom 21.3.97 und die Verordnung
über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (VWIS) vom 27.6.2001.
Im VWIS ist geregelt, dass innerhalb des Bundesamtes für Polizei
der "Dienst für Analyse und Prävention" (DAP) die Aufgabe hat
die Massnahmen zur Wahrung der Inneren Sicherheit durchzuführen und
wahrzunehmen. Der DAP darf z.B. auchsicherheitspolitisch begründete
Fernhaltemassnahmen (also Einreisesperren) vorbereiten und durchführen.
Weiter kann der DAP Personen, Organisationen, Behörden oder Unternehmen
über Schutzmassnahmen gegen terroristische oder nachrichtendienstliche
Aktivititäten oder gegen gewalttätigen Extremismus beraten, wenn
sich eine konkrete Bedrohungslage abzeichnet oder auf Anfrage, wenn diese
Dritten sich bedroht fühlen. Enge Zusammenarbeit besteht mit der Konferenz
der kantonalen Polizeikommandanten. Oftmals koordiniert der DAP auch überkantonale
Tätigkeiten (z.B. WEF-Schutz) oder arbeitet mit ausländischen
Staatsschützen zusammen und vertritt die Schweiz in internationlen
Gremien.
Wer das BWIS und die VWIS liest, merkt, dass die PolizeistaatextremistInnen
langsam aber sicher wieder auf Volltouren kommen und dass vermehrt GlobalisierungsgegnerInnen,
AntifaschistInnen und andere radikale BürgerInnen inís Visier
genommen werden.
Z.B. Art. 2 Abs 2 BWIS (Aufgaben) steht: Der Bund trifft vorbeugendeMassnahmen
nach diesem Gesetz, um frühzeitig Gefährdungen durch Terrorismus,
verbotenen Nachrichtendienst und gewalttätigen Extremismus zu erkennen.(...).
Und in Art. 8 Abs 1 steht geschrieben: «Die Kantone und die in
Artikel 13 des Gesetzes genannten Behörden und Amtsstellen erstatten
dem DAP unaufgefordert Meldung über Informationen und Erkenntnisse
in den folgenden Bereichen:(...)
c. gewalttätiger Extremismus: Bestrebungen von Organisationen,
deren Vertreter, die Demokratie, die Menschenrechte oder den Rechtsstaat
ablehnen und zum Erreichen ihrer Ziele Gewalttaten verüben, befürworten
oder fördern.»
Das DAP darf auch «präventive Operationen und Fahndungsprogramme»
zur «Feststellung sicherheitsrelevanter Vorkommnisse in einem bestimmten
Bereich» auch in «Zusammenarbeit mit kantonalen Strafverfolgungsbehörden,
längerfristige polizeiliche Aktionen als präventive Fahndungsprogramme
durchführen. Wenn Personen oder aktive Organisationen und Gruppen
«systematisch Tätigkeiten entfalten» (die oben erwähnten),
kann der DAP ein Prüfverfahren eröffnen. Dieses Verfahren dient
«der Beschaffung und Auswertung aller Informationen über die
betreffenden Personen, Organisationen und Gruppierung zum Zweck der Gewinnung
gesicherter Erkenntnisse über deren die Sicherheit der Schweiz gefährdenden
Tätigkeiten.»
Die radikalen BürgerInnen
Wer sich jetzt fragt, was die Big Brothers und Sisters unter gewalttätigem
Extremismus verstehen, der/die sei auf den Staatsschutzbericht 2000 verwiesen.
Dort ist unter «Gewalttätiger Extremismus, Kapitel Linksextremismus
zu lesen: «Das Zentrum der linksextremen Gewalt in der Schweiz bildeten
primär der Umkreis des Revolutionären Aufbaus Schweiz (RAS) und
bei der Aktionsplanung der Antiglobalisierungsbewegung vermehrt auch das
Umfeld der Reitschule Bern. Die Schweizer linksautonome Szene war in die
internationale linke Protestbewegung eingebunden und hat sich vornehmlich
mit internationalen Themen befasst. (..) Andererseits führte die öffentliche
Diskussion der Skinhead-Problematik zu verstärkten Hinwendung zum
Thema Faschismus beziehungsweise Antifaschismus.»
Interessant auch die Analyse der Autonomen und Libertären im amüsanten
DAP-Bericht «Das Gewaltpotential in der Antiglobalisierungsbewegung»
(Juli 2001): «Anarchistische Parteien und Gruppen streben per definitionem
den Umsturz bestehender Strukturen an. » Und ein paar Seiten weiter:
«Schon für die Neue Linke der 70er-Jahre war jede gegen die
Staatsorgane gerichtete Handlung, ob friedlich oder nicht, Ausdruck einer
legitimen Gegengewalt: die eigentliche , ursprüngliche Gewalt gehe
vom Staatsapparat und der herrschenden Klasse aus (strukturelle Gewalt).
Die heutigen linken Globalisierungskritiker argumentieren analog: die
eigentliche Gewalt - gegen benachteiligte Individuen, Gesellschaftsschichten,
Staaten und/oder die Natur - gehe von den supranationalen Organisationen,
den internationalen Konzernen und der (wirtschaftlich und politisch) herrschenden
Klasse aus. Gewaltanwendung im Kampf gegen diese Missstände sei somit
nichts als legitime Notwehr. Sie sei die logische und unanwendbare Folge
eines an sich gewalttätigen Systems.»
In den Empfehlungen dieses Berichts wird die Katze aus dem Sack gelassen:
«Die nationale und internationale Zusammenarbeit zwecks Austauschs
von Erkenntnissen und Informationen über Organisation und Aktivität
gewalttätiger Globalisierungsgegener sollte intensiviert werden. (...)
Im Bereich des gewalttätigen politischen Extremismus gilt Ähnliches
wie für den Terrorismus: das beste Gegenmittel ist Prävention.
Deshalb sollen die gesetzlichen Grundlagen geschaffen und die entsprechenden
Ressourcen bereitgestellt werden, um eine effektive Prävention zu
gewährleisten - bevor sich ein harter Kern gewaltbereiter Aktivistien
herausgebildet hat.»
Und somit ist die Schnüfflerei legitimiert - so einfach ist das.
Unbeschränkt schnüffeln
Zwar wird in Artikel 3 Abs2 BWIS die Arbeit der Staatsschutz-SchnüfflerInnen
eingeschränkt («Die Sicherheitsorgane des Bundes und der Kantone
dürfen Informationen über die politische Betätigung und
die Ausbildung der Meinungs-, Koalitions- und Versammlungsfreiheit nicht
bearbeiten»), doch der darauffolgende Satz erlaubt den Big Brothers
und Sisters ziemlich alles: «Die Bearbeitung ist jedoch dann zulässig,
wenn der begründete Verdacht besteht, dass eine Organisation oder
ihr angehörende Personen die Ausübung der politischen Rechte
oder der Grundrechte als Vorwand nehmen, um terroristische, nachrichtendienstliche
oder gewalttätig extremistische Tätigkeiten vorzubereiten oder
durchzuführen.»
Die Informationen und Personendaten über radikale BürgerInnen
dürfen sich die SchnüfflerInnen«selbst wenn dies für
die betroffenen Personen nicht erkennbar ist» laut Art 14 BWIS durch
«Auswerten öffentlich zugänglicher Quellen, Einholen von
Auskünften, Einsicht in amtliche Akten, Entgegennahme und Auswerten
von Meldungen, Nachforschen nach der Identität oder dem Aufenthalt
von Personen, Beobachten von Vorgängen an öffentlichen und allgemein
zugänglichen Orten, auch mittels Bild- und Tonaufzeichnungen, Feststellen
der Bewegungen und der Kontakte von Personen.» Die Daten landen in
einem elektronischen Informationssystem (ISIS)
Laut Art. 15 Abs 6 BWIS darf der DAP in dieses Informationssystem sogar
«Daten über nichtbeschuldigte Personen» aus einem Strafverfahren
aufnehmen, «wenn gesicherte Anhaltspunkte bestehen, dass sie mit
Angehörigen einer terroristischen, Gewalt anwendenden extremistischen
oder nachrichtendienstlichen Organisation (...) in Kontakt stehen, unabhängig
davon, ob ihnen diese Zugehörigkeit bekannt ist. Für Daten aus
amtlichen Überwachungen des Post- und Fernmeldeverkehrs oder aus dem
Einsatz technischer Überwachungsgeräte geht Artikel 66 Absatz
1ter der Bundesrechtsstrafrechtspflege vor.»
Eine ägyptische Göttin?
Das ISIS* ist keine ägyptische Göttin, sondern ein «elektronisches
Informationssystem», dessen Handhabung in der Verordnung über
das Staatsschutz-Informations-System vom 1.12.99 geregelt ist. ISIS besteht
aus 7 Datenbanken (eine davon Staatsschutz). Zugriff haben BAP/DAP-MitarbeiterInnen
und kantonale Staatsschutzstellen. laut Art. 16 des ISIS dürfen
präventiv-polizeiliche Daten längstens 15 Jahre gespeichert werden.
Ausnahmen: Daten laufender präventiv-polizeilicher Fahndungsprogramme
(20 Jahre), Daten über Einreisesperren (bis 10 Jahre nach deren Ablauf),
Daten über Personensicherheitsprüfungen (5 Jahre), Daten aus
Korrespondenz mit Amtsstellen und Privaten (30 bzw. 10 Jahre). Daten der
Datenbank D0 (dokumentarische Informationen aus dem gesamten Arbeitsgebiet
der Bundespolizei) können zeitlich unbeschränkt aufbewahrt werden.
Nicht mehr benötigte oder zur Löschung bestimmte Daten und Unterlagen
werden dem Bundesarchiv zur Archivierung angeboten.
Fazit: der Fichenstaat ist wieder da und keineR hat eine Strategie dagegen. Oder doch?.Wäre gut, denn es soll noch schlimmer kommen.
Ausblick
Am 10. Dezember 2001 wurde im Ständerat ein Postulat von Hans-Rudolf
Merz (FDP, AR) gutgeheissen. «Die Landesregierung wird darin auch
aufgefordert, im Nachgang zu den Terroranschlägen in den USA eine
umfassende Lage- und Gefährdungsanalyse der Schweiz zu erstellen.
Es habe sich gezeigt, dass der präventive Staatsschutz und Nachrichtendienst
im Nachgang zur Fichenaffäre zu stark eingeschränkt worden sei.
Wie die CVP verlangt Merz eine Teilrevision des Bundesgesetzes über
Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit. Zudem sollte der Straftatbestand
der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation geschaffen
werden. Gleichzeitig müsste die parlamentarische Kontrolle über
den Staatsschutz verstärkt werden. Laut Bundesrätin Ruth Metzler
kann ein Ausbau von Staatsschutz und Nachrichtendienst nur beschlossen
werden, wenn hierzu eine Gefährdungs- und Lageanalyse ausgearbeitet
ist. Eine Entgegennahme des Vorstosses als Motion mit ihren detaillierten
Vorgaben wäre nach Auffassung des Bundesrates deshalb übereilt.
Der Handlungsbedarf sei jedoch ausgewiesen, und der Bundesrat werde bis
zur Frühjahrssession 2002 einen umfassenden Zwischenbericht zur Gefährdungslage
erstellen, kündigte Metzler an. Zugleich warnte die Justizministerin
aber auch vor Hektik und erinnerte daran, dass die Überprüfung
des Staatsschutzes bereits seit einem Jahr im Gang sei. Allerdings dürfe
und werde laut Metzler der Wunsch nach öffentlicher Sicherheit nicht
zu einem Überwachungsstaat führen.»
(BZ 11.12.01)
Antirep-Koordination Bern
*Isis: in Anlehnung des Schengener Informationssystem (SIS)...?
Quellen:
- BWIS: http://www.admin.ch/ch/d/sr/c120.html
- VWIS: http://www.admin.ch/ch/d/sr/c120_2.html
- ISIS: http://www.admin.ch/ch/d/sr/c120_3.html
- www.lorraine.ch/genua/datenbanken.shtml
-Staatsschutzbericht:
http://www.bap.admin.ch/d/aktuell/berichte/d_SB_2000_1.pdf
- Gewaltpotential Antiglobalisierungsbewegung:
http://www.bap.admin.ch/d/aktuell/berichte/d_GpAGBw_bericht_2000_01.pdf
Archiv Schnüffelstaat Schweiz: http://www.raben-net.ch/ficherman/index.html