BERICHT VOM PROZESS GEGEN LEUTE VOM INFOTELEFON IN GÖTEBORG
Am 9.1.02 begann der Prozeß der 2. Instanz vor dem Landgericht
gegen 8 Leute (3 Frauen; 5 Männer) vom Infotelefon während des
EU-Gipfels im Juni 2001 in Göteborg. Ihnen wird vorgeworfen,
die
z.T. gewalttätigen Auseinandersetzungen in Zusammenhang
mit
der Einkesselung der als Schlafplatz genutzten Hvitfeldtska-
Schule, initiiert und koordiniert zu haben (14.6.01). Dazu sollen
sie
den Bullenfunk abgehört, über Fahrrad-MelderInnen
verfügt und mit
Computern SMS-Mitteilungen verschickt haben. Die Wohnung, in
der das Infotelefon saß, wurde dann in der Nacht von Do.(14.6.01)
auf Fr. (15.6.01) von der Polizei gestürmt. Diese sprach
auch nicht
von Infotelefon, sondern von "Verbindungszentrale". In 1. Instanz
waren sie deshalb zwischen 3 und 4 Jahren Gefängnis verurteilt
worden.
Die 2. Instanz findet nun vorm Landgericht im Sicherheitssaal
statt.
Die Bullen hatten wohl auch mit mehr als 15 ZuschauerInnen
gerechnet
und waren extrem nervös, schließlich sprach die
staatliche Propaganda von den AnführerInnen des
terroristischen "black bloc". Dementsprechend
waren sie mit Kugelsicheren Westen ausgestattet
und stierten während des Prozessen aufgeregt
durch verspiegelte Scheiben in den Gerichtssaal;
mensch mußte nach jeder Pinkelpause erneut durch
den Metalldetektor und sich abgrabbeln lassen...
1. Prozeßtag
Der 1.Prozeßtag wurde fast Komplett durch die
Beweisführung der Staatsanwaltschaft (StAw)
bestimmt. Diese nahm sich viel Zeit ihr Bild der
"Verbindungszentrale" aufzubauen und wurde dabei
überhaupt nicht von den VerteidigerInnen
unterbrochen. Zur Unterstützung der
Beweisführung hatten sie eine
Computerpräsentation vorbereitet, mit vielen
eingescannten Bildern und selbst gemachten
Statistiken und Grafiken. Um die Gefährlichkeit
von Infotelefonen aufzuzeigen, wurde als erstes
Prag erwähnt, wo es durch verdeckte und halb-
verdeckte "Verbindungszentralen" möglich gewesen
sein soll, in kürzester Zeit Demo Blöcke zu
verlagern. Dann folgte ein Durchsuchungsbericht,
der im großen und ganzen unwichtig war, aber das
Bild der extremistischen und
gewaltverherrlichenden Autonomen
stärken/aufbauen sollte. So fanden sich zwischen
Jacken und Abwasch immer wieder politische
Flugblätter und trotz so harmlosen Aufklebern
wie "Bitte keine Werbung" an der Tür,
existierten CDs mit Krawallbildern aus
Berlin...! Nach diesen langen Ausführungen
wurden die beschlagnahmten Gegenstände genannt:
2 Computer mit Internet-Anschluß; 4 Funk-
Scanner; 6 Handys mit unterschiedlichen
Beschriftungen; 2 Aktenvernichter;
Frequenztabellen; 1 Radio; diverse Karten. In
den Computern wollen sie Organisationsschema,
Schichtpläne, diverse Karten, Telefonlisten,
Ereignis- und Bullenfunk Protokolle, ein
Programm zum SMS-Verschicken (ICQ 2000b) und ein
PGP-Programm gefunden haben. Aus
Aktenvernichter, PGP-Progamm und den nur wenig
verbreiteten Telefonnummern wurde nun eine
verdeckte Organisation gebaut, die mittels
diverser MelderInnen und SMS die Leute steuerte.
Das Bild der StAw war dabei recht militaristisch
und sie sprach ständig von Einheiten und
Anweisungen. So ging nach ihnen jede SMS an eine
abgeschlossene Einheit. Um dieses Bild zu
stützen, wurden diverse Grafiken und Statistiken
über die verschickten SMS, geführte Telefonate
und Positionen von kontaktierten Handys im
Stadtgebiet gezeigt; als Grundlage dafür diente
das angeblich gefunden Organisationsschema,
wodurch immer wieder starke Bündelungen am
Infotelefon zu sehen waren. Eine solche
Bündelung sei auch bei einem als Rädelsführer
verurteilten Mann, welcher in der Hvitfeldtska-
Schule festgenommen wurde, festgestellt worden.
Dabei handelt es sich um einen Teilnehmer von
YaBasta Schweden. Zu ihrem Bedauern konnten die
anderen "Einheiten" noch nicht identifiziert
werden. Wie perfekt die Dokumentationen waren,
sollten vergleiche mit den Polizeiprotokollen
der Tage sichtbar machen. In dieser Logik wurden
auch Stadtpläne und Karten nur noch von
kriminellen Elementen verwendet und die
notierten Polizeiabsperrungen rund um das
Kongressgelände verstärkten dies, obwohl diese
in diversen Tageszeitungen abgedruckt waren.
Zusätzlich wurden noch mitgeschnittene
Telefonate und SMS verlesen. Insgesamt arbeitete
die StAw darauf hin, daß es ohne diese
"Verbindungszentrale" nicht zu
Auseinandersetzungen bei der Einkesselung und
späteren Erstürmung der Hvitfeldtska-Schule
gekommen wäre. Denn es wurden immer wieder SMS
verschickt, die zur Solidarisierung mit den
Eingekesselten aufriefen. Aus einer, mit großer
Empörung, vorgetragenen SMS "We need solidarity
with our comrades inside the school. The Police
have problems to hold the lines, they are tired
and hungry" wurde ein Aufruf zu gewalttätigen
Angriffen auf die Bullen. Unterstützt wurde
diese These mit einem Video, auf dem Leute den
gesamten Nachmittag über Steine sammelten und
später Polizisten beworfen wurden, sowohl von
Leuten in der Schule, als auch von Leuten
außerhalb. Außerdem gab es einem Ausbruchversuch
nach Tutte Bianchi Art. Die ganze Zeit über
konnte die StAw reden ohne Unterbrochen zu
werden, auch inprinzip für den Prozeß
unrelevante Sachen konnten lange ausgebreitet
werden und so ihr Bild von einer
Gewaltbegeisterten, steuernden
"Verbindungszentrale" aufbauen. Selbst als die
StAw die angeblich gefundenen Schichtpläne, wo
nur Vor- und Spitznamen drin standen, mit den
Nachnamen und Vornamen der Angeklagten
vervollständigte, wurde sie nicht gebremst. Zum
Schluß konnten die VerteidigerInnen dann noch
Positionen abgeben. Dabei wurde immer wieder
darauf hingewiesen, daß es sich bloß um ein
Infotelefon handelte und nicht um eine
"Verbindungszentrale". Auch sei der Schichtplan
in Frage zu stellen und außerdem ständen in dem
12 Personen, aber nur 8 wurden angeklagt. Auch
seien Handys dem Infotelefon zugeordnet worden,
die auch in anderen Teilen der Stadt lokalisiert
wurden. Einigen Angeklagten sei auch gar nicht
bekannt gewesen, daß SMS verschickt wurden.
2.Prozeßtag
Am 2.Prozeßtag wurden 5 von 8 Angeklagten
gehört. Alle 5 machten recht umfangreiche
Aussagen. Zuerst haben die meisten selbständig
berichtet, dann hat die StAw Fragen gestellt und
zum Schluß dann die VerteidigerInnen. Insgesamt
wurde individuell Berichtet, wie jedeR einzelne
zum Infotelefon gekommen ist, was jedeR selbst
gemacht hat und wovon sie nichts gewußt haben.
Wie das bei solchen Prozeßstrategien
zwangsläufig der Fall ist, haben sie auch einige
Namen genannt (von den anderen Angeklagten) und
deren Tätigkeit, was die StAw natürlich versucht
zu benutzen, um einen Rädelsführer aufzubauen.
An vielen Punkten waren Erinnerungen nach dem
1/2 Jahr und ständigen Polizeiverhören auch
nicht mehr so gut bzw. mit den Konstruktionen
der Bullen vermischt. Hier wurde immer wieder
die Glaubwürdigkeit durch die StAw angezweifelt.
Insgesamt entstand am heutigen Tag eher das Bild
einer z.T. erst in den Tagen unmittelbar vor dem
Gipfel zusammen gewürfelten Gruppe, in der es
auch diverse Spannungen gab, so das 2 eigentlich
aufhören wollten. Einige dachten im Vorfeld, daß
es nur um eine Dokumentation oder Informieren
ginge. So wollten einige Gewaltsame Situationen
verhindern indem sie Leute warnten. Von SMS und
Computern hatten sie z.T. keine Ahnung. Außerdem
sollen immer mehr Leute in der Wohnung gewesen
sein, als auf dem Schichtplan stehen. Insgesamt
wurde nur immer mal am Rande versucht, das
Konstrukt der StAw anzugreifen, sich aber
größtenteils auf deren Logik eingelassen und
versucht individuell gut raus zu kommen. Nur die
3. Zeugin hat versucht etwas offensiver zu
agieren. Dabei stützt sich das gesamte Konstrukt
der StAw nur auf ein von ihnen entworfenes Bild.
Tatsächliche Beweise haben sie keine, denn auch
das von ihnen immer wieder vorgebrachte Zitat
einer abgefangenen SMS "We need solidarity with
our comrades inside the school. The Police have
problems to hold the lines, they are tired and
hungry") ist wenig aussagekräftig, denn
Solidarität kann schließlich auch z.B. eine
einfache Demo bedeuten. Das zugrunde liegende
Verständnis wie linker Widerstand funktioniert
ist zwar das gleiche wie andere Büttel in
anderen Ländern auch haben, wird dadurch aber
auch nicht realistischer. Das wird auch dadurch
gezeigt, das am Freitag (15.6.01) die Krawalle
in GBG erheblich heftiger waren - und das ohne
Infotelefon.
Die nächsten Prozeßtage sind auf den 15./16./17.1.02 angesetzt. [afasweden@hushmail.com]
Infogruppe Berlin
Die Berliner Gipfelsoli-Infogruppe ist
hervorgegangen aus der Infogruppe der
Genuagefangenen. Wir sind unter
genua.presse@uni.de zu erreichen. Wir haben
einen Email-Verteiler angelegt, über den
aktuelle Nachrichten zu Göteborg und Genua (und
andere Aktivitäten wie z.B. die Mobilisierung
nach Brüssel oder München) verschickt werden.
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