Gipfelinfo 13.1.2002
öffentlicher rundbrief der infogruppe [berlin]
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  BERICHT VOM PROZESS GEGEN LEUTE VOM INFOTELEFON IN GÖTEBORG
Am 9.1.02 begann der Prozeß der 2. Instanz vor dem Landgericht gegen 8 Leute (3 Frauen; 5 Männer) vom Infotelefon während des EU-Gipfels im Juni 2001 in Göteborg. Ihnen wird vorgeworfen, die z.T. gewalttätigen Auseinandersetzungen in Zusammenhang mit der Einkesselung der als Schlafplatz genutzten Hvitfeldtska- Schule, initiiert und koordiniert zu haben (14.6.01). Dazu sollen sie den Bullenfunk abgehört, über Fahrrad-MelderInnen verfügt und mit Computern SMS-Mitteilungen verschickt haben. Die Wohnung, in der das Infotelefon saß, wurde dann in der Nacht von Do.(14.6.01) auf Fr. (15.6.01) von der Polizei gestürmt. Diese sprach auch nicht von Infotelefon, sondern von "Verbindungszentrale". In 1. Instanz waren sie deshalb zwischen 3 und 4 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die 2. Instanz findet nun vorm Landgericht im Sicherheitssaal statt. Die Bullen hatten wohl auch mit mehr als 15 ZuschauerInnen gerechnet und waren extrem nervös, schließlich sprach die staatliche Propaganda von den AnführerInnen des terroristischen "black bloc". Dementsprechend waren sie mit Kugelsicheren Westen ausgestattet und stierten während des Prozessen aufgeregt durch verspiegelte Scheiben in den Gerichtssaal; mensch mußte nach jeder Pinkelpause erneut durch den Metalldetektor und sich abgrabbeln lassen...

  1. Prozeßtag
Der 1.Prozeßtag wurde fast Komplett durch die Beweisführung der Staatsanwaltschaft (StAw) bestimmt. Diese nahm sich viel Zeit ihr Bild der "Verbindungszentrale" aufzubauen und wurde dabei überhaupt nicht von den VerteidigerInnen unterbrochen. Zur Unterstützung der Beweisführung hatten sie eine Computerpräsentation vorbereitet, mit vielen eingescannten Bildern und selbst gemachten Statistiken und Grafiken. Um die Gefährlichkeit von Infotelefonen aufzuzeigen, wurde als erstes Prag erwähnt, wo es durch verdeckte und halb- verdeckte "Verbindungszentralen" möglich gewesen sein soll, in kürzester Zeit Demo Blöcke zu verlagern. Dann folgte ein Durchsuchungsbericht, der im großen und ganzen unwichtig war, aber das Bild der extremistischen und gewaltverherrlichenden Autonomen stärken/aufbauen sollte. So fanden sich zwischen Jacken und Abwasch immer wieder politische Flugblätter und trotz so harmlosen Aufklebern wie "Bitte keine Werbung" an der Tür, existierten CDs mit Krawallbildern aus Berlin...! Nach diesen langen Ausführungen wurden die beschlagnahmten Gegenstände genannt: 2 Computer mit Internet-Anschluß; 4 Funk- Scanner; 6 Handys mit unterschiedlichen Beschriftungen; 2 Aktenvernichter; Frequenztabellen; 1 Radio; diverse Karten. In den Computern wollen sie Organisationsschema, Schichtpläne, diverse Karten, Telefonlisten, Ereignis- und Bullenfunk Protokolle, ein Programm zum SMS-Verschicken (ICQ 2000b) und ein PGP-Programm gefunden haben. Aus Aktenvernichter, PGP-Progamm und den nur wenig verbreiteten Telefonnummern wurde nun eine verdeckte Organisation gebaut, die mittels diverser MelderInnen und SMS die Leute steuerte. Das Bild der StAw war dabei recht militaristisch und sie sprach ständig von Einheiten und Anweisungen. So ging nach ihnen jede SMS an eine abgeschlossene Einheit. Um dieses Bild zu stützen, wurden diverse Grafiken und Statistiken über die verschickten SMS, geführte Telefonate und Positionen von kontaktierten Handys im Stadtgebiet gezeigt; als Grundlage dafür diente das angeblich gefunden Organisationsschema, wodurch immer wieder starke Bündelungen am Infotelefon zu sehen waren. Eine solche Bündelung sei auch bei einem als Rädelsführer verurteilten Mann, welcher in der Hvitfeldtska- Schule festgenommen wurde, festgestellt worden. Dabei handelt es sich um einen Teilnehmer von YaBasta Schweden. Zu ihrem Bedauern konnten die anderen "Einheiten" noch nicht identifiziert werden. Wie perfekt die Dokumentationen waren, sollten vergleiche mit den Polizeiprotokollen der Tage sichtbar machen. In dieser Logik wurden auch Stadtpläne und Karten nur noch von kriminellen Elementen verwendet und die notierten Polizeiabsperrungen rund um das Kongressgelände verstärkten dies, obwohl diese in diversen Tageszeitungen abgedruckt waren. Zusätzlich wurden noch mitgeschnittene Telefonate und SMS verlesen. Insgesamt arbeitete die StAw darauf hin, daß es ohne diese "Verbindungszentrale" nicht zu Auseinandersetzungen bei der Einkesselung und späteren Erstürmung der Hvitfeldtska-Schule gekommen wäre. Denn es wurden immer wieder SMS verschickt, die zur Solidarisierung mit den Eingekesselten aufriefen. Aus einer, mit großer Empörung, vorgetragenen SMS "We need solidarity with our comrades inside the school. The Police have problems to hold the lines, they are tired and hungry" wurde ein Aufruf zu gewalttätigen Angriffen auf die Bullen. Unterstützt wurde diese These mit einem Video, auf dem Leute den gesamten Nachmittag über Steine sammelten und später Polizisten beworfen wurden, sowohl von Leuten in der Schule, als auch von Leuten außerhalb. Außerdem gab es einem Ausbruchversuch nach Tutte Bianchi Art. Die ganze Zeit über konnte die StAw reden ohne Unterbrochen zu werden, auch inprinzip für den Prozeß unrelevante Sachen konnten lange ausgebreitet werden und so ihr Bild von einer Gewaltbegeisterten, steuernden "Verbindungszentrale" aufbauen. Selbst als die StAw die angeblich gefundenen Schichtpläne, wo nur Vor- und Spitznamen drin standen, mit den Nachnamen und Vornamen der Angeklagten vervollständigte, wurde sie nicht gebremst. Zum Schluß konnten die VerteidigerInnen dann noch Positionen abgeben. Dabei wurde immer wieder darauf hingewiesen, daß es sich bloß um ein Infotelefon handelte und nicht um eine "Verbindungszentrale". Auch sei der Schichtplan in Frage zu stellen und außerdem ständen in dem 12 Personen, aber nur 8 wurden angeklagt. Auch seien Handys dem Infotelefon zugeordnet worden, die auch in anderen Teilen der Stadt lokalisiert wurden. Einigen Angeklagten sei auch gar nicht bekannt gewesen, daß SMS verschickt wurden.

  2.Prozeßtag
Am 2.Prozeßtag wurden 5 von 8 Angeklagten gehört. Alle 5 machten recht umfangreiche Aussagen. Zuerst haben die meisten selbständig berichtet, dann hat die StAw Fragen gestellt und zum Schluß dann die VerteidigerInnen. Insgesamt wurde individuell Berichtet, wie jedeR einzelne zum Infotelefon gekommen ist, was jedeR selbst gemacht hat und wovon sie nichts gewußt haben. Wie das bei solchen Prozeßstrategien zwangsläufig der Fall ist, haben sie auch einige Namen genannt (von den anderen Angeklagten) und deren Tätigkeit, was die StAw natürlich versucht zu benutzen, um einen Rädelsführer aufzubauen. An vielen Punkten waren Erinnerungen nach dem 1/2 Jahr und ständigen Polizeiverhören auch nicht mehr so gut bzw. mit den Konstruktionen der Bullen vermischt. Hier wurde immer wieder die Glaubwürdigkeit durch die StAw angezweifelt. Insgesamt entstand am heutigen Tag eher das Bild einer z.T. erst in den Tagen unmittelbar vor dem Gipfel zusammen gewürfelten Gruppe, in der es auch diverse Spannungen gab, so das 2 eigentlich aufhören wollten. Einige dachten im Vorfeld, daß es nur um eine Dokumentation oder Informieren ginge. So wollten einige Gewaltsame Situationen verhindern indem sie Leute warnten. Von SMS und Computern hatten sie z.T. keine Ahnung. Außerdem sollen immer mehr Leute in der Wohnung gewesen sein, als auf dem Schichtplan stehen. Insgesamt wurde nur immer mal am Rande versucht, das Konstrukt der StAw anzugreifen, sich aber größtenteils auf deren Logik eingelassen und versucht individuell gut raus zu kommen. Nur die 3. Zeugin hat versucht etwas offensiver zu agieren. Dabei stützt sich das gesamte Konstrukt der StAw nur auf ein von ihnen entworfenes Bild. Tatsächliche Beweise haben sie keine, denn auch das von ihnen immer wieder vorgebrachte Zitat einer abgefangenen SMS "We need solidarity with our comrades inside the school. The Police have problems to hold the lines, they are tired and hungry") ist wenig aussagekräftig, denn Solidarität kann schließlich auch z.B. eine einfache Demo bedeuten. Das zugrunde liegende Verständnis wie linker Widerstand funktioniert ist zwar das gleiche wie andere Büttel in anderen Ländern auch haben, wird dadurch aber auch nicht realistischer. Das wird auch dadurch gezeigt, das am Freitag (15.6.01) die Krawalle in GBG erheblich heftiger waren - und das ohne Infotelefon.

  Die nächsten Prozeßtage sind auf den 15./16./17.1.02 angesetzt. [afasweden@hushmail.com]

  Infogruppe Berlin
Die Berliner Gipfelsoli-Infogruppe ist hervorgegangen aus der Infogruppe der Genuagefangenen. Wir sind unter genua.presse@uni.de zu erreichen. Wir haben einen Email-Verteiler angelegt, über den aktuelle Nachrichten zu Göteborg und Genua (und andere Aktivitäten wie z.B. die Mobilisierung nach Brüssel oder München) verschickt werden. Die AutorInnen der Beiträge, so sie nicht von uns verfasst sind, sind mit eckigen Klammern versehen. Wenn ihr in den Verteiler aufgenommen (oder gelöscht) werden wollt, schickt einfach eine Mail.