Bern ohne Junkie-Sleeper: Winterliche Obdachloskeit mit Konzept

Im Winter 1991 wurde die Notschlafstelle für Drogenabhängige an  der abgelegenen Stauffacherstrasse offiziell eröffnet, im März 2000 wieder geschlossen. Im November 2001 erklärt die Stadt mit dem Strategiepapier "Konzept Obdach 2001" (Drogen-)Notschlafstellen als "nicht mehr zielgerecht". Im Winter 2002 gibt es nach wievor Junkies, die auf der Gasse und/oder in prekären Wohnsituationen pennen.

Die Anfänge
Weihnachten 1990 besetzten AktivistInnen der SchülerInnenkoordination Bern/Aktionsgruppe Nydegg (SIKB-AGNY) gemeinsam mit obdachlosen FixerInnen eine Woche lang die Nydegg-Kirche und forderten eine Notschlafstelle für Drogenabhängige. Die "Notschlafstelle Nydegg" folgte als Reaktion auf die Räumung der kleinen Schanze im November 1990 und als "Protestakt gegen die brutale und menschenverachtende Drogenpolitik der Stadt Bern".
Über Kirchenkontakte enstand vorübergehend die Notschlafstelle Burgfeld und im Mitte Januar 1991 "unter massivem Druck" die Drogennotschlafstelle Stauffacherstrasse. Doch schon am 15. April wurde diese von der Stadt wieder "vorübergehend" geschlossen.

Flankierende Massnahme
Im November 1991 wurde die Notschlafstelle für Drogenabhängige offiziell wiedereröffnet. Dies als eine von mehreren "flankierenden Massnahmen" vor der Schliessung des Kocherparkes, wo sich nach der Räumung der Kleinen Schanze die "Offene Drogenszene" befand. Trägerschaft und Betreibung der Drogennotschlafstelle übernahm die "Arbeitsgemeinschaft der christlichen Kirchen der Stadt Bern" (AKiB), anfangs Freiwillige später Bezahlte die Arbeit in der Notschlafstelle. Die SIKB-AGNY zog sich nach Kontroversen um obrigkeitliche Bevormundung und Bemutterung der Drogenabhängigen unter Protest aus dem Projekt zurück.
Der Drogensleeper an der Stauffacherstrasse hatte mindestens zwei Nachteile: zum einen die abgelegene Lage am nördlichen Stadtrand, zum anderen die restriktive Aufnahmepolitik: StadtbernerInnen und Contact-Stiftergemeinden-BürgerInnen wurden aufgenommen, Schlafplatzbedürftige aus anderen Gemeinden oder Kantonen hatten nur Anrecht auf ganze 3 Nächte pro Jahr.
Anfangs überfüllt, präsentiert sich die Lage 5 Jahre später "entspannter": Im Bund vom 10.12.1996 begründet
Ulrich Windlinger (AKiB) die damaligen "Unterbelegung": Das vermehrte Angebot an Projekten für begleitetes Wohnen in der Region Bern, die kontrolliere Heroinabgabe, die viele Drogenabhängige von der Gasse fernhalten würde und die Entspannung auf dem Liegenschaftsmakt, die es auch Drogenabhängigen eher wieder erlaube, irgendwo eine feste Bleibe zu finden.
Und Jakob Huber (Contact) meint: "Wenn es in der - halt eben ungünstig gelegenen - Notschlafstelle an der Stauffacherstrasse noch Plätze frei hat, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass immer noch Drogenabhängige draussen übernachten. Niederschwellige Angebote sind nach wie vor nötig."
Während Jahren war die Idee einer zentrumsnäheren Drogennotschlafstelle in aller Munde - doch es passierte lange nichts.

Fürsorgerische Massnahme
Von Herbst 1997 bis Herbst 1999 wütete in Bern die Task Force (oder auch Task Farce) Drogenpolitik: Möglichst viele städtische und private Institutionen in den Bereichen Drogen, Fürsorge, Polizei und Justiz wurden gleichgeschaltet und auf strammen Repressionskurs gebracht. Dies "um die Bildung einer offenen Drogenszene zu verhindern und Massnahmen in den Bereichen Prävention, Therapie, Überlebenshilfe und Repression besser koordinieren zu können".
Mit der Aktion Citro wurden "mutmassliche Dealer" gejagt (v.a. Afrikaner und Leute aus dem Balkan), mit der ambulanten Vermittlungs- und Rückführungsstelle Drogenabhängige zwangsweise von der Strasse geholt und der Öffenlichkeit schöngeredete Zahlen über Erfolge im Kampf gegen Drogendealer und -szene präsentiert.
Die aufkommende Kritik am obrigkeitlichen Strassenterror gegen MigrantInnen und Drogenabhängige wurde mit "fürsorgerischen Massnahmen" gedämpft. Der Gemeinderat im Stadtrat vom 15.10.98: "In der Zwischenzeit sind eine ganze Reihe von fürsorgerischen Massnahmen realisiert worden. Erinnert sei etwa an die längeren Öffnungszeiten in der Anlaufstelle Nägeligasse, die Eröffnung einer ambulanten Vermittlungs- und Rückführungsstelle, die geplante Verlegung der Notschlafstelle an die Hodlerstrasse und die ebenfalls in Vorbereitung befindliche Eröffnung einer zweiten Anlaufstelle an der Hodlerstrasse."
Das prestigeträchtige Hodlerstrasse-Projekt der Task Farce Drogenpolitik führte zum Rausschmiss der widerspengstigen selbstverwalteten Sleeper-Notschlafstelle (v.a. Alkis und andere Obdachlose) aus der Hodlerstrasse. Um die ungeliebten Sleeper-Leute loszuwerden, spielte die Task Farce Drogenpolitik die Bedürfnisse nach einer zentrumsnahen Drogennotschlafstelle und nach einer zweiten Drogenanlaufstelle gegen die Sleeper-Betreiber aus. Nachdem sich die Sleeper-Betreiber juristisch gegen den Rausschmiss wehrten, stellte die Stadt schliesslich ein Haus an der Neubrückstrasse zur Verfügung. Somit standen dem Hodlerstrasse-Projekt nur noch die Einsprachen der NachbarInnen entgegen.
Die Task Farce Drogenpolitik versuchte auch, die BenutzerInnen-Zahlen der Notschlafstelle an der Stauffacherstrasse zu erhöhen. 1999 wurde auf Vorschlag des BetreiberInnen-Teams ein Shuttlebus eingeführt, der nach Mitternacht Drogenabhängige vom Stadtzentrum in die Stauffacherstrasse transportierte. Des öfteren wurde dieses Projekt von der Stadtpolizei sabotiert: In 30-40 % der Fälle führten die blauen Krokus-Mannen "zufälligerweise" jeweils vor und während den Abfahrtszeiten des Shuttlebuses Kontrollen durch.
Das BetreiberInnen-Team hatte es nicht einfach: Der Repressionsdruck auf der Strasse war auch in der Notschlafstelle spürbar, es gab vermehrt Spannungen mit dem Arbeitgeber AKiB. Gegen Ende der Stauffacherstrasse-Zeit bekam das BetreiberInnen-Team sogar ein Medienredeverbot und durfte nicht einmal an Sitzungen der oppositionellen "Gassennahen Institutionen" teilnehmen.
Im Dezember 1999 wird die ersatzlose, aber vorübergehende Schliessung der Drogennotschlafstelle auf März 2000 bekanntgegeben. Der Gemeinderat am 15.6.2000 im Stadtrat: "Die Notschlafstelle ist ein besonderes, niederschwelliges Angebot, welches auch wesentlicher Bestandteil der strategischen Ziele des Gemeinderates in der Drogenpolitik (Überlebenshilfe) ist. Es ist richtig, dass die Notschlafstelle schlecht ausgelastet war und auf Ende März 2000 vorübergehend geschlossen wurde. Entscheidend für die schlechte Auslastung waren vorab die im Bericht aufgeführten Gründe der peripheren Lage, des desolaten baulichen Zustandes und nicht zuletzt personelle Probleme." Dass Gemeinderat und Contact mit willkürlich gewählten, möglichst tiefen Belegungszahlen operierten, schien niemanden zu stören.

Notwendige Ersatz-Massnahmen
Auf Kritik am Fehlen einer Drogennotschlafstelle antwortet der Gemeinderat am 23.11.2000: "Der Gemeinderat hat notwendige Massnahmen für Obdachlose aus der Stadt Bern getroffen. So sind gegenwärtig 12 Plätze im Passantenheim der Heilsarmee und einige Plätze bei der Aktion Bettwärme als Notbetten vorhanden. (...) Der Gemeinderat wird die Situation aufmerksam im Auge behalten und auf Notsituationen flexibel zu reagieren wissen. Die obdachlosen Menschen können also mit einer warmen und minimal betreuten Unterkunft während der kalten Wintermonate rechnen. Es bleibt zu erwähnen, dass bei den erwähnten Einrichtungen eine minimale Hausordnung einzuhalten ist und auf den Konsum illegaler und legaler Drogen in diesen Einrichtungen verzichtet werden muss."
Kritisiert wurde die Politik des Gemeinderats unter anderem von den "Gassennahen Institutionen" (Mobile ambulante Medizin, Kirchliche Gassenarbeit, Gassenküche SchülerInnenkoordination Bern, Elternvereinigung drogenabhängiger Jugendlicher, etc.). Diese schreiben in einem offenen Brief an Frau Begert: "Wir stellen jedoch fest, dass für den kommenden Winter nur Provisorien in Zusammenarbeit mit drei Institutionen - Passantenheim der Heilsarmee, Bettwärme und Frauen-WG - zur Verfügung stehen, die nach unserer Erfahrungen nicht den Bedürfnissen der drogenabhängigen Menschen auf der Gasse entsprechen. Ihre Konzepte sind von den Bedingungen her für andere Gäste vorgesehen und nicht für Drogenkonsumierende. Sie haben zum Beispiel keinen betreuten Fixerraum. Die Aufnahmebedingungen und Hausordnungen sind viel zu restriktiv. Insbesondere haben anschaffende Frauen kaum die Möglichkeit in den frühen Morgenstunden noch Aufnahme zu finden und können dadurch gezwungen sein, beim Freier zu übernachten. Dazu kommt, dass wegen fehlender Regelung der Kostengutsprachen nur Drogenkonsumierende mit Wohnsitz in Bern oder in einer der Stiftergemeinden des Contact aufgenommen werden dürfen. Insgesamt führt dies dazu, dass die vorgenannten Notangebote kaum benutzt werden."

Überflüssige Massnahme
Anzeichen auf die ideologische "Neuorientierung" der Obdachlosen-Politik von Stadt und Contact sind schon 1 Jahr vor dem Strategiepapier "Konzept Obdach 2001" auszumachen:
Barbara Mühlheim, SP- und Contact-Politikerin in der Stadtratsdebatte vom 23.11.2000: "Ich gehe davon aus, dass Notschlafstellen konzeptionell ein Produkt der 80er Jahre sind. Man hatte damals noch gedacht, nach drei bis vier Tagen Aufenthalt würden die Betroffenen wieder einen anderen Ort zum Verbleiben finden. Frau Begert hat nicht erwähnt, dass es in der Stadt Bern eine gute, konzeptuelle Auswertung über den Stand der Obdachlosigkeit in der Stadt Bern gibt und welche konzeptionelle Änderungen in Zukunft vorgenommen werden sollen. (...) Diese Arbeit kommt zum folgenden Schluss: Notschlafstellen sind leider zu Dauerschlafstellen verkommen. Das hat zur Konsequenz, dass viele Leute nicht nur vier bis fünf Tage, sondern Monate bis zu einem Jahr in der Notschlafstelle verweilen. Zudem verdeutlicht sich, dass dieses Phänomen zu einer Chronifizierung beigetragen und den Ausstieg verhindert hat. Vor diesen Hintergründen hat die Stadt Bern in den letzten vier bis fünf Jahren vermehrt neue Projekte im Bereich des begleiteten Wohnens initiiert."
Und weiter, nachdem Mühlheim das Wohnen, das gemeinsame Essen und Putzen in den "Wohnschulen" gelobt hat: "Nicht zuletzt haben diese Projekte, neben den vielen neuen Angeboten der Stadt Bern in der Methadon- und der Heroinabgabe, dazu beigetragen, dass weniger Leute in den Notschlafstellen anwesend waren. Es kam sogar soweit, dass am Schluss in der alten Notschlafstelle nur noch etwa vier oder fünf Personen anwesend waren. Dies allerdings, weil wir viele Personen von Notschlafstellen an unsere neuen Projekte vermittelt haben. Es ist wohl zu bedenken, ob die Notschlafstelle - ich will nicht sagen, wir bräuchten nie mehr Notschlafstellen - noch ein Konzept des Jahres 2000 sein kann. (...)Denn nach einer Umfrage in den Anlaufstellen zeigt sich, dass es noch leere Bette in anderen Wohnprojekten hat und damit der Bedarf für eine weitere Stelle nicht vorhanden ist."  

Teure Massnahme
Trotz der Vorzeichen im November 2000 bewilligt der Stadtrat am 14.6.2001 einen Sanierungskredit in der Höhe von 924'000 Franken für das Prestige-Projekt Drogenanlauf- und notschlafstelle an der Hodlerstrasse 22. Der Kanton Bern entschied im Juli 2001 diese Kosten als Staatsbeitrag für Wohlfahrts- und Fürsorgeeinrichtungen zu übernehmen. (Später kommt ein städtischer Zusatzkredit von 84'000 Franken hinzu, der mit den Schäden der AJZ-/Wohn-Besetzung an der Hodlerstrasse begründet wird.)

Kunst statt Schlafplätze
Im November 2001 wird im Parterre der Hodlerstrasse 22 die Drogenanlaufstelle endlich eröffnet. Auf die Eröffnung der Notschlafstelle in den oberen Räumen verzichtet die Stadt "mangels Bedarf" und "spart" mit diesem Entscheid 450'000 Franken.
Barbara Mühlheim am 15.11.2001 im Stadtrat: "Bereits letztes Jahr haben wir über das Bedürfnis einer Notschlafstelle diskutiert. Inzwischen ist es keine Glaubensfrage mehr, da die Zahlen vorliegen. Die Untersuchung hat bei zwei Leuten ein Bedürfnis nach einer Unterkunft feststellen können. (...) Die Notschlafstelle wurde nicht aus Willkür gestrichen, sondern weil mit den neuen drogenpolitischen Ausrichtungen Notschlafstellenplätze nicht mehr in diesem Umfang bereitgestellt werden müssen wie vor 10 Jahren."

In den Zeitungen schöne Worte der Stadt: Man überlege, in den oberen beiden Stöcken tiefschwellige Drogenprojekte einzurichten, von gassennahen sozialen Einrichtungen, Beratungsräumen für Drogenkonsumierende, einem Raum für FolienraucherInnen und vom "Haus des Überlebens" ist die Rede. Im März wird der Einzug der Stadtgalerie mit Büro und "Anlaufstelle für junge Künstler" im ersten Stock bekannt gegeben. Die Verantwortlichen schwärmen von "soziokultureller Nutzung". Und Gemeinderätin Ursula Begert (Direktion für soziale Sicherheit) betont unermüdlich: "Die Räumlichkeiten im Obergeschoss der Hodlerstrasse 22 werden immer Notschlafstellenpriorität haben. Wer sich dort einmietet, wird die Auflage haben, bei Bedarf wieder auszuziehen." (Stadtrat, 15.11.01).
Im Hof des benachbarten Gebäudes soll ein mobiler Pavillon installiert werden. Separate Zugänge und andere Öffnungszeiten das "Labor für experimentelle Kunst" sollen "mögliche Konflikte zwischen Kunstliebhabern und Drogenabhängigen verhindern."

Konzept "Obdach 2001"
Pünklich zur Eröffnung der Drogenanlaufstelle ohne Notschlafstelle erscheint auch das Strategiepapier "Konzept Obdach 2001", wo erklärt wird, wieso Bern keine Notschlafstellen mehr brauchen würde:
"Die Stadt Bern reagiert mit dem Konzept "OBDACH" auf die veränderte Situation im Problemfeld der Obdachlosen- und Wohnhilfe: Eigentliche Notschlafstellen und Herbergen für Obdachslose sind nicht mehr zielgerecht und werden im Rahmen der reinen Überlebenshilfe abgedeckt. Dagegen sind Institutionen für betreutes Wohnen mit erweiterter Unterstützungs- und Integrationsangeboten und Institutionen für begleitetes Wohnen und für Beratung (mit dem Ziel der Förderung von Wohnkompetenz und der Rückführung ins eigenverantwortliche Wohnen) von grosser Bedeutung."
Notschlafstellen und Notbetten entsprächen nurmehr bedingt dem gesellschaftlichen und individuellen Bedarf:
"Die städtische Strategie geht klar in Richtung Prävention (Verhinderung von Obdachlosigkeit) und zielorientierter Wohnhilfe sowie Förderung der Wohnkompetenz. Auch im betreuten Wohnen sind Zielsetzungen der möglichst weitgehenden Reintegration in die Selbstständigkeit und Wohnfähigkeit sowie in soziale Netze zu vereinbaren."
Eine der strategischen (Neu)ausrichtungen der Obddachlosenarbeit und Wohnhilfe ist die "schwerpunktmässige Unterstützung der Betreuungsformen: begleitetes und betreutes Wohnen; keine weitere Subventionierung von Notschlafstellen (Ausnahme: Notschlafstelle für drogenabhängige Personen, falls Bedarf wieder ändern solle)."
Es geht um Privatisierung und staatlich subventionierte Kontrollpolitik:
"Für die Lösung spezifischer Probleme sind private Trägerschaften flexibler und klientennäher. Die Unterstützung geeigneter Objekte und gemeinwesenrelevanter Hilfsangebote ist im Bereich der Obdachlosen- und Wohnhilfe klar zu favorisieren."(...)
"Da es nicht mehr nur um das Wohnen geht, muss eine stärkere Vernetzung mit dem Sozialdienst stattfinden betreffend Arbeit, Beschäftigung und andere Dienste. Es muss dahin gearbeitet werden, dass die Personen in eine Tagesstruktur eingebunden werden. Wohnungslosigkeit ist nicht getrennt von Arbeitslosigkeit zu betrachten. Diese Verschiebung (zusätzliche Aufwendungen) kann zurzeit aufgefangen werden durch den Verzicht auf die Notschlafstelle für Drogenkonsumentinnen und -konsumenten. Eine Studie (im Auftrag der Direktion für Soziale Sicherheit) befürwortet diesen Verzicht ebenfalls."

Ähnlich wie anfangs der 90er Jahre, als die niederschwelligen GassenarbeiterInnen abgeschafft wurden, werden nun niederschwellige Strukturen wie Notschlafstellen geschlossen. Delegiert wird die Obdachlosigkeit an "mittelschwelligen" Institutionen wie Heilsarmee (Passantenheim und Notwohnungen), Verein Aktion Bettwärme (Betreutes Wohnen), Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Stadt Bern AkiB (Betreutes Wohnen für Drogenkonsumierende Albatros), Verein Wohn- und Lebensgemeinschaften in der Stadt und Region Bern (Frauenwohngemeinschaft und Wohngemeinschaft Schwandergut), Verein Obdach (Begleitetes Wohnen). Diese haben mit der Stadt Leistungsverträge und bekommen Subventionen ("Objekthilfe"). Für die insgesamt 250 Plätze leistet die Stadt etwa 2 Millionen Franken an Objekthilfen, zusätzlich gibt es indirekt über die Sozialdienste Tagespauschalen für die BenützerInnen.

Heilsarmee am Anschlag
Die Folgen dieser neuen Politik sind bekannt: So ist im Bund vom 13.10.2001 zu lesen: "Für Berns Heilsarmee-Passantenheim heisst dies, dass das Provisorium zum Providurium, wenn nicht zum Definitivum wird - und dies nachvollziehbar nicht gerade zu dessen Freude. Denn Fixer, vorab elende von der Strasse, die "voll drauf" sind, "machen uns das Leben schon schwer", wie Heimleiter, Franz Dillier, sagt, - so habe das Passantenheim im letzten Winter "teilweise chaotische Zeiten erlebt". " Schwierig ist's für uns auf jeden Fall, diese Klientel aufnehmen zu müssen, in erster Linie für sie zuständig zu sein", so Dillier, dem "es persönlich lieber wäre, es gäbe die Notschlafstelle"."
Und am 3.7.2002: "Auf den Herbst folgte, wie Dillier jetzt auf Anfrage hinzufügte, "ein happiger Winter", während dem Drogenabhängige im Passantenheim öfters "für Unruhe sorgten". Sorge bereitet Dillier vor allem aber, dass auch der nun angebrochene Sommer kaum Entspannung gebracht hat: Sechs der insgesamt 43 Betten sind für Drogenabhängige reserviert, doch immer sind acht bis neun Junkies im Heim. "Wir beherbergen ununterbrochen eine hohe Anzahl von Drogenabhängigen", sagt Dillier, "und damit sind wir überlastet, längerfristig können wir so nicht weiterfahren." Dillier sagt's klar: "Wir haben keine Luft mehr."
Die Heilsarmee droht im selben Artikel mit Rausschmiss von schwierigen Junkies, die Stadt verspricht zu handeln. Sogar eine verkleinerte Notschlafstelle wird für den Fall der Fälle in Aussicht gestellt.
Doch vorderhand erkauft sich die Stadt die Geduld der Heilsarmee: Am 5. September genehmigte der Stadtrat 4-jährige Leistungsverträge mit zehn sozialen Institutionen über ca. 29 Millionen Franken (Heilsarmee 2,3 Mio).

Fazit
Spannend wird die Reaktion des Kantons auf die zwar projektierte, aber nicht geschaffene Notschlafstelle und die gemischte, "soziokulturelle" Nutzung. Der Beitrag von 924'000 Franken war für Drogenanlaufstelle und Drogennotschlafstelle bestimmt. Wieviel von den kantonalen 924'000 noch an die Stadt gehen wird, ist unklar (Abrechnung der Renovierung ist wohl diesen Winter).
Doch wichtiger ist: In der Stadt und Region Bern ist und bleibt die Drogennotschlafstelle ein Bedürfnis. Obdachlose Junkies zwangsweise in begleitete oder betreute Wohnprojekte zu stecken, kann wohl kaum als niederschwellig bezeichnet werden. Und Heilsarmee und Co. werden wohl früher oder später trotz Millionenunterstützung die Schnauze voll haben.
Die Behauptung von Stadt und Contact, es gäbe gerade bei "zwei Leuten ein Bedürfnis nach einer Unterkunft" kann getrost in die Welt der Märchen verbannt werden. Wenn sogar in der Jugendherberge Leute untergebracht werden müssen und Dutzende Leute auf der Gasse oder in prekären Wohnsituationen pennen, kann wohl kaum von einem Mangel an Bedürfnis geredet werden. Niederschwellige Angebote wie die Drogennotschlafstelle (für alle) sind ein Muss - auch im Jahr 2002. Basta.

Nachtrag:
Im Bund vom 24.10.02 kündigt die Stadt an, 6-10 Notbetten für obdachlose Drogenabhängige einzurichten. "Der Bedarf nach Notbetten wird sehr wahrscheinlich da
sein." Der Standort der Scheinlösung ist noch unklar. Auch unklar: Wie schwierig ist es für Betroffene an die Notbetten heranzukommen? Wo muss mensch sich melden?
Dürfen Nicht-StadtbernerInnen auch dort schlafen? Sonstige Bedingungen?

bgfz
 

Obdachlos ist:
- Wer in Notschlafstellen, Notunterkünften, Notwohnungen oder bei Freunden und Bekannten nur eine vorübergehende Bleibe hat
- Wer unfreiwillig und aus einer Notlage heraus im Freien, im Zelt, im Wohnwagen oder sonst in einer unzureichenden, nicht zum Wohnen bestimmten Unterkunft lebt.
- Wem der ersatzlose Verlust der ständigen oder vorübergehenden Unterkunft unmittelbar bevorsteht (wegen Kündigung).